Trauerweiden
kaum fassen und streichelte bewundernd über die spiegelglatten Oberflächen. »Wir müssen zum Aufguss«, erinnerte Heiko. »Um elf ist Aufguss in der Stollensauna.« Lisa seufzte. Da war er wieder, der Wellnessstress. Viel lieber hätte sie sich etwas im Whirlpool der großen Badehalle gefläzt, die sie anschließend durchquerten. Aber Heiko wollte unbedingt zum Aufguss, er behauptete, das müsse man erlebt haben. Nun gut. Er führte seine Freundin durch den Garten, in dem diverse Holzhäuser standen, allesamt Saunen. Lisa las »Heusauna«, »Klostersauna« und »Schäfersauna«. Unter einer Heusauna konnte sie sich etwas vorstellen, und die Klostersauna enthielt Gebetsbänke statt normaler Bänke, wie Lisa nach einem neugierigen Blick durchs Fenster feststellte. Aber was, bitte, war eine Schäfersauna? Ihr Freund erriet ihre Frage, als sie das Schild mit dem Saunanamen länger studierte, und erklärte: »Der Herr Schäfer ist hier Stammgast. Er kommt seit 50 Jahren mehrmals pro Woche her. Und er macht ab und zu auch mal einen Aufguss. Jetzt haben sie vor ein paar Jahren ihm zu Ehren die Schäfersauna erbaut.« Lisa runzelte die Stirn. Wollte ihr Freund sie veräppeln? Kurze Zeit später erfuhr sie jedoch, dass das kein Witz gewesen war. Nämlich hatten sie es sich auf der Bank der größten Sauna bequem gemacht, die Lisa je gesehen hatte. Die Saunen, die sie kannte, boten Platz für vielleicht 20 Leute, in der Schwäbisch Haller Erdsauna passten circa 50 auf die Bänke. Diese Sauna war jedoch mindestens fünfmal so groß.
»Hier haben sie den Weltrekord aufgestellt«, erzählte Heiko. »Da war ich auch dabei.«
»Weltrekord?«
»Ja, 500 Leute hatten die hier drin, stell dir vor! In der größten Sauna der Welt. 122 Quadratmeter.«
Lisa hob die Augenbrauen. »500? Das ist ja unglaublich.«
»Ja, sag ich doch, Weltrekord.«
»Und was ist das da?«, fragte Lisa weiter und wies auf das meterlange eiserne Konstrukt, das dekorativ in der Mitte des Raumes stand und irgendwie an das Modell eines Güterzuges erinnerte.
»Das sind alte Bergwerksloren. Da legen sie im Winter immer Tannenreisig drauf, das duftet dann ganz hervorragend.«
Lisa betrachtete das metallische Ungetüm. Ja, tatsächlich, das waren diese Bergwerkswägelchen, die man aus dem Indiana-Jones-Film kannte. Die Sauna füllte sich zusehends, und endlich kamen zwei Männer mit Lendenschurzen, roten Handtüchern über den Schultern und Duftwasserbottichen in den Händen herein.
»Das ist der Schäfer«, raunte Heiko ihr fast ehrfürchtig zu und wies auf den älteren. »Nach dem ist die Sauna benannt.«
Lisa betrachtete sinnend die beiden Saunameister. Der jüngere war eher unscheinbar, mittelgroß und hatte braune Haare. Der ältere, oder eigentlich musste man schon sagen: der alte, denn er ging wohl auf die 70 zu, schob eine deutliche Wampe vor sich her. Sein rundes Gesicht wurde von grauen Haarsträhnen gekrönt, die bereits jetzt verschwitzt wirkten und in wilden Formationen am Kopf klebten. Er hatte sich den Lendenschurz um den Bauch gewickelt, wohl, um selbigen zu kaschieren. »Nommd, meine Damen und Herren«, grüßte der jüngere Saunameister auf Fränkisch.
»Den Herrn Schäfer kennt’s ihr ja alle.«
Kollektives anerkennendes Murmeln erhob sich, während Schäfer sich ganz offensichtlich in seiner Prominenz sonnte.
»Un no wellmer uns heit aweng entspanna«, beschloss der jüngere nun. »Wie schaut’s aus, sing mer aweng was?«
»Holzmichel«, brüllte einer hinter Lisa.
Lisa legte die Stirn in Falten. War das ernst gemeint? In hohenlohischen Saunen schwiegen die wenigsten andächtig, wenn der Aufguss zelebriert wurde. Aber singen?
»Guat, sing mer da Holzmichel«, bestimmte der Saunameister.
Aus irgendwelchen versteckten Lautsprechern tönten nun tatsächlich die ersten Takte des Randfichten-Hits. Und nur Sekunden später sang die ganze Sauna den Holzmichel, während Herr Schäfer und der andere Saunameister schwitzend, aber überaus euphorisch aufgossen und wedelten, bis sie vor Erschöpfung fast umfielen.
Einige Aufgüsse und tatsächlich auch einige Faulenzereinheiten später aßen Lisa und Heiko am Wellenbad einen Salat. Das war ein Salat, mit dem sogar Heiko sich anfreunden konnte, mit viel Schinken und Käse drin. Eigentlich sogar hauptsächlich Schinken und Käse. Sie fläzten wie römische Feldherren beim lukullischen Festmahl in einer Art riesigem Liegestrandkorb, den Lisa sofort zum Must-Have erklärt hatte, für den
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