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Trauerweiden

Trauerweiden

Titel: Trauerweiden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wildis Streng
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Störche.
    »Von einem von denen da«, erläuterte er.
    Lisa betrachtete die Feder genauer. Sie war sicherlich dreißig Zentimeter lang, und die Federäste waren nicht seidig-glatt wie bei einer gewöhnlichen Feder. Vielmehr zweigten links und rechts des Schaftes harte, aber dennoch sehr feingliedrige Äste ab.
    »Schön«, befand Lisa und wurde von Heiko gleich auf das nächste Naturschauspiel aufmerksam gemacht.
    »Das hier ist die »Eiche«, hier gibt es den Blootz«, erklärte er und wies auf eine ziemlich antiquiert wirkende Gastwirtschaft. »Und das ist die Eiche, nach der die Wirtschaft benannt ist«, fuhr er fort.
    Er führte Lisa zu einem kleinen Beet, in dem eine etwa zwei Meter hohe, augenscheinlich sehr junge Eiche gepflanzt war. Lisa wunderte sich etwas, hätte sie doch das Restaurant auf älter als fünf, sechs Jahre geschätzt.
    »Nein, nein«, berichtigte Heiko, »nach DIESER Eiche.« Er deutete auf einen völlig ausgehöhlten Baumstumpf, der Lisa zunächst gar nicht aufgefallen war, weil er für einen Baumstamm eigentlich viel zu groß war. Der Stamm schien einen Durchmesser von über zwei Metern gehabt zu haben und bildete einen großen Ring, in den man die junge Eiche gepflanzt hatte.
    »Vor ein paar Jahren haben sie die alte Eiche gefällt, weil sie doch langsam morsch war, und da war die ganze Sache zu gefährlich. War ja schon 500 Jahre alt, das Ding. Und um der Tradition Genüge zu leisten, haben sie dann die neue Eiche gepflanzt.«
    Minuten später hatte Heiko Gelegenheit, seine Ausführungen, die Lisa bisher mit zweifelnden Blicken quittiert hatte, zu beweisen. Denn nun sah sie es mit eigenen Augen: Im Vorraum des Restaurants hing nicht nur ein gewaltiger Bilderrahmen mit Fotos von der Baumfällaktion, sondern an der Wand lehnte auch eine riesige Baumscheibe, deren Durchmesser deutlich über einem Meter lag.
    »Die ist aber schon von weiter oben, denn untenrum war die Eiche ja morsch«, erläuterte Heiko.
    Lisa konnte es kaum glauben. Sie berührte das kühle, glattpolierte Holz und fand es irgendwie schade, dass der Baum nicht mehr lebte.
     
    Als sie die Gastwirtschaft betraten, schlug ihnen augenblicklich intensiver Essensgeruch entgegen. Nach kurzem Suchen entdeckten die beiden Till, der einen Vierertisch belegt hatte und nun begeistert winkte. Auf dem Weg zum Tisch mussten sie einer Bedienung ausweichen, die ein rundes Holztablett von etwa 60 Zentimetern Durchmesser trug. »DAS ist Blootz«, erläuterte Heiko und wies auf das riesenhafte Gebäck, das auf dem Brett lag. Lisa schluckte und hoffte, dass das nicht die Portion für eine Person war. Nur zu gut erinnerte sie sich noch an die Fressorgie vom Volksfest. Sie setzten sich und begrüßten Till, der bereits ein Hefeweizen vor sich stehen hatte. Lisa ließ die Atmosphäre des Restaurants auf sich wirken. Laut war es, unvorstellbar laut. An den Tischen saßen Familien, Männergruppen, die offenbar eine Art Stammtisch abhielten, und junge Pärchen, also ergab sich eine bunte Mischung. Die Stimmung war gut, lautes Gelächter drang an Lisas Ohr. Über allem lag dieser würzig-deftige Essensgeruch, den wohl der Blootz verströmte und der eine gewisse, nicht unangenehme Schwüle erzeugte. Kinder hielten Eis am Stiel in den klebrigen Händen und schleckten eifrig, ansonsten waren alle mit dem Verzehr von Blootz beschäftigt. Lisa schnappte einen dreckigen Witz aus einer Stammtischecke auf. Dröhnendes Gelächter aus mehreren Männerkehlen folgte.
    »Was deffi eich bringa?«, fragte die Bedienung, eine Enddreißigerin mit derangiert wirkendem Zopf.
    Lisa und Heiko bestellten Cola. Und einen Blootz.
    »Fürs Erste reicht uns einer, oder?«, fragte Heiko, und Lisa sah zweifelnd zu ihm hin, um festzustellen, ob er das wohl ernst meinte. Er meinte es ernst.
    »Mit Griawa?«, fragte die Bedienung.
    »Mit was denn sonsch?«, gab Till zurück.
    »Ha, mir henn aa mit Käs un Lauch un sou«, bot die Frau an.
    Die Männer schüttelten einhellig die Köpfe. Das wäre ja ein Sakrileg.
    »Was sind denn Griiiiahwaah?«, wollte Lisa wissen, als die Bedienung verschwunden war. Nach der Kuttelerfahrung vom Volksfest schwante ihr Fürchterliches.
    »Ja, äh, gute Frage, das ist doch zerbrutzelter Schweinespeck, oder?«, fragte Heiko.
    Till nickte. »Ganz genau.«
    Lisa lächelte dünn. Hörte sich ja sehr appetitlich an. »Ah, do is ja dr Guschdl«, meinte Heiko und blickte mit anerkennendem Nicken in Richtung Tresen. Dort lehnte nun ein kleines Männchen mit

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