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Trauerweiden

Trauerweiden

Titel: Trauerweiden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wildis Streng
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waren. Denn beste Freundinnen waren mächtig. Sie entschieden über Gedeih und Verderb einer jeden Beziehung, also war es wichtig, bei dieser Kategorie Mensch einen guten Eindruck zu hinterlassen. Daher: Augen zu und durch. Die wäre sicherlich nett, die Frau. Und immerhin war es das erste Mal, dass jemand aus ihrem alten Freundeskreis Lisa besuchen kam.
    »Wir waren früher regelmäßig Salsa tanzen, die Eva und ich.«
    »Hm.«
    »Was ziehst du denn an?«, fragte Lisa.
    »Wieso?«
    »Naja, zum Tanzen gehen?«
    »Ha, normal halt.«
    »Wie, normal? Das geht nicht.«
    »Wieso?«
    »Zum Tanzen gehen zieht man sich ein bisschen nett an,« dozierte Lisa.
    Heiko brummte.
    »Oder sehe ich etwa normal aus?«
    Heiko musterte seine Freundin. Sie trug ein pinkfarbenes Kleid, das untenrum irgendwie zerrissen aussah, weil lange Fetzen bis zum Boden hingen. Sonst endete das Kleid kurz über dem Knie, und die Fetzen gehörten wohl so. Aber normal sah sie nicht aus, ganz und gar nicht.
    »Äh, das Kleid ist … gut«, meinte er also und blickte ein wenig fragend drein.
    Lisa nickte heftig. »Ja, genau, das ist sogar besser als gut. Und ein bisschen müssen wir ja auch zusammenpassen, so rein optisch, oder etwa nicht?«
     
    Eine halbe Stunde später saß er, in ein braunes Seidenhemd und eine beigefarbene Bundfaltenhose gewandet, neben Lisa im M3. Er hatte das Hemd mal im Urlaub aus einer Laune heraus gekauft – er wusste nicht einmal mehr genau, wo – und es seither nie wieder angehabt. Lisa hatte seinen Schrank durchforstet und war hin und weg von dem Ding gewesen. Mehrfach hatte sie fassungslos wiederholt, warum er denn seine tollen Klamotten nie anziehe und immer bloß in den alten T-Shirts rumliefe. Und nun fuhren sie nach Heilbronn, und Heiko schwante nichts Gutes. Tanzen war so gar nicht sein Fall. In der Schule hatte er wie alle damals einen Tanzkurs gemacht. Walzer, Rumba und Discofox. Aber seither hatte er nie wieder getanzt, wenn man von einmal Discofoxtanzen mit einer hübschen Rothaarigen im ›Apfelbaum‹ absah. Und auch damals hatte er sie nur aufgefordert, um sie anzumachen. Er seufzte wieder, was Lisa geflissentlich ignorierte. Diese Latinosachen waren so gar nichts für ihn. Er hatte ja nichts gegen Shakira und Co. Aber er hatte was gegen dieses hektische Gehopse. Lisa hingegen schien direkt schon unter Entzugserscheinungen zu leiden. Seit sie losgefahren waren, wippte sie ungeduldig mit ihren hochhackigen Pumps auf und ab.
     
    Nach einer knappen Stunde Fahrt waren sie da. Die »Zigarre« war ein altes Fabriksgebäude, ein Ziegelbau. Sah eigentlich recht kultig aus. Lisa war ganz aus dem Häuschen, als sie das »WES«-Autoschild auf dem Parkplatz entdeckte. Und im Auto saß Eva, eine brünette Mittdreißigerin, die nun dem Wagen entstieg. Heiko parkte den M3, und Lisa riss die Tür auf, um auf ihre Freundin zuzustürmen.
    »Eva, hach, ich hab dich so vermisst!«, seufzte sie, und die beiden lagen sich weinend und lachend zugleich in den Armen.
    Heiko musterte die Freundin. Hübsch, durchaus, mit einer kleinen Stupsnase. Gute Figur, tendenziell zu dünn. Eva trug ein Kleid, das dem von Lisa nicht unähnlich war, nur dass das Dekolleté noch tiefer und die Fetzen kürzer waren. Der eigentliche Rock war auch kürzer, und das Kleid war in schreiendem Türkis.
    »Und das muss Heiko sein«, stellte Eva fest, als er auf die beiden zuging. Sie musterte Heiko prüfend, schließlich folgte auf den Blick ein anerkennendes Nicken.
    Eva streckte die Hand aus und sagte: »Tach. Ich bin Eva.«
    Heiko ergriff die Hand und erwiderte den Gruß. Er bemerkte lange Fingernägel, die ihn ins Fleisch stachen.
    »Ich denke, es ist okay, wenn wir Du sagen, das ist dir doch auch recht, ne?«, fragte die Brünette weiter.
    Heiko nickte. Klar. Alles andere wäre ja mal total doof. Lisa fasste Eva an der rechten und Heiko an der linken Hand und bestimmte dann: »Gehen wir rein.«
     
    Drinnen schlug ihnen schwülwarme Hitze entgegen. Der Geruch von schwitzenden Menschen, Wärme, die sich immer dort entwickelte, wo so viele Leute auf einem Haufen waren. Außerdem waberte Zigarettenrauch durch den Raum, und mit etwas Phantasie ließen sich sogar die Bestandteile einiger Cocktails erschnuppern. Und über allem die ohrenbetäubende und doch recht schwülstige Musik. »Nooooooooh, no es amoooooooooohohohooooor«, sang die Sängerin, und so viel verstand Heiko gerade noch, dass »amor« »Liebe« hieß. Das war definitiv nicht seine Musik. Die

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