Trauerweiden
sehr roter, spitziger Nase und einem fein geschnittenen Gesicht. Der Mann trug über einem karierten Hemd einen braunen Pullover, und an seinem Kopf klebten weiße Haarsträhnen. Sein Markenzeichen war die bodenlange Schürze, die früher bestimmt einmal weiß gewesen war. Gustl blickte mit kleinen braunen Mausäuglein herrisch um sich, denn er war der unangefochtene König des Blootz, ihm gehörte die »Eiche«.
»Guschdl!«, riefen die Stammtischler, die neben der Tür saßen, und der kleine Mann gesellte sich zu ihnen.
Wenig später kamen die Getränke. Till drehte seine Hefeweizentulpe nachdenklich zwischen den fleischigen Pranken hin und her.
»Und, wie läuft’s mit euerm Fall?«, fragte er dann.
»Ja, läuft«, meinte Heiko, wohl in der Annahme, dass diese Aussage als Information ausreichend sei.
Lisa verdrehte die Augen. »Wir verfolgen verschiedene Spuren«, ergänzte sie.
Till forderte mit einem gebrummten »Hm« zum Weiterreden auf.
»Ja, also, da hätten wir diverse Damen, die mit der Ermordeten ein Problem hatten, weil die ihnen entweder den Mann oder den Job ausgespannt hat, verschiedene Verehrer, und schwanger war sie auch, aber nicht von ihrem Freund.«
Till pfiff durch die Zähne. »Des sin ja Zuständ«, urteilte er.
Lisas weitere Ausführungen wurden jäh unterbunden, weil sich die Aufmerksamkeit der Männer plötzlich auf einen Punkt hinter ihr richtete. Lisa drehte sich um und sah die Bedienung im Anmarsch, mit einem dieser riesigen, runden Holzbretter. Auf dem Brett befand sich der patentierte Gustl-Eiche-Blootz. Mit Schweinegrieben. Ein kollektives »Mmmmmmh« entrang sich den Männern, als die Bedienung den Blootz auf den Tisch stellte. Till rieb sich die Hände und schnappte sich sofort das erste Stück. Bei so was war er wenig zurückhaltend, nix mit »die Dame zuerst« und so.
»Gibt es keine Teller? Und Besteck?«, wollte Lisa wissen.
Heiko breitete eine rote Serviette vor ihr aus. »Den isst man so, aus der Hand«, belehrte er sie. Lisa nahm mit spitzen Fingern ein Blootzstück, das ungefähr die Dimension einer halben Pizza hatte – wohl auch denselben Kaloriengehalt – und betrachtete es skeptisch. Auf einem sehr dünnen und dennoch knusprigen Boden war eine ebenso dünne Schicht saure Sahne aufgetragen. Zwiebeln und kleine braune Brösel, die ein bisschen wie erschlagene Fliegen aussahen, krönten die Kreation.
»Und die braunen Dinger sind … Griiiiahwaah?«, mutmaßte Lisa.
»Genau«, bestätigte Heiko, bereits zufrieden kauend, »das sind Griawa.«
Und dann probierte Lisa, und anders als die Kutteln war der Blootz wirklich ein voller Erfolg. Schmackhaft. Überaus. Sehr lecker. Und da war es auch nicht mehr ganz so wichtig, was Grieben eigentlich genau waren.
Samstag, 05. Oktober
Für heute hatte Heiko seiner Lisa einen ganz besonderen Ausflug versprochen. Nämlich ins Dampfmuseum nach Blaufelden. Lisa konnte sich unter einem Dampfmuseum nicht wirklich etwas vorstellen, aber Heiko verriet ihr auch nicht viel. Nun gut. Die Abendgestaltung würde ganz nach ihrem Gusto sein, also könnte sie jetzt auch mit in dieses Dampfmuseum. Sie parkten den Wagen am »Cafe Sohns«, das Heiko gleich als nächsten Programmpunkt festlegte. Dann folgten sie zu Fuß der Straße, die durch eine Mischung aus Industrie-und Wohngebiet führte, bis zu einer Schule. Lisa staunte. Eine Schule?
»Das Museum ist in der alten Hausmeisterwohnung der Realschule«, erklärte Heiko nun endlich, während er die obligatorische »Ich-kann-jetzt-eine-Stunde-keine-mehr-rauchen-Zigarette« rauchte. Lisa fixierte den Glimmstängel mit tadelnd hochgezogenen Augenbrauen, was den Kommissar dann doch dazu verleitete, die Kippe auszudrücken und mit ihr endlich das Museum zu betreten.
Am Eingang standen zwei ältere Herren, die T-Shirts mit der Aufschrift »Dampf im Museum« trugen. »Zweimal«, sagte Heiko, bezahlte vier Euro und dann waren sie auch schon drin. Das erste Ausstellungsstück war eine Art Ikone. Ein Leinwandfotodruck zeigte einen etwa 80-jährigen Mann mit Brille und grüner Strickweste, der andächtig und überaus ernst dreinblickend auf einer Modelleisenbahn saß. Lisa hatte schon davon gehört, aber gesehen hatte sie es noch nicht. Da gab es diese Bastler, die Eisenbahnmodelle bauten, die tatsächlich fuhren, aber anders als ihre kleinen Geschwister immerhin 50 bis 80 Zentimeter in der Höhe maßen. Und auf einem solchen Zugmodell saß der ältere, durchaus würdig wirkende Herr, auf im
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