Traum ohne Wiederkehr
des Todes wand, gegen den sie keinen Schutz hatte, sie war …
Ihr Kopf schwang zurück, ihre Wangen brannten, als sie unter den Schlägen schwankte, die Starrex ihr versetzte.
»Du bist eine Träumerin!« Seine Stimme klang gebieterisch. »Träume jetzt, wie du noch nie in deinem Leben geträumt hast! Du kannst es, wenn du es nur wirklich willst!«
Die Ohrfeigen und seine Stimme hatten die gleiche Wirkung auf sie wie die so seltsam parfümierte Luft im Schiff. Ihr Wille kehrte zurück, die Benommenheit schwand. Tamisan, die Träumerin, verdrängte die andere, schwache Tamisan. Aber welche Welt? Ein Punkt! Nur ein Entscheidungspunkt in der Geschichte!
»Haaaaah!« Diesmal war Starrex’ Schrei nicht dazu bestimmt, sie aufzurütteln. Vielleicht war es der Schlachtruf Hawarels.
Sie sah eine bleiche, von einer abscheuerregenden Phosphoreszenz umgebene Schnauze durch die Zweige des Buschwerks ragen. Und sie spürte mehr, als daß sie es sah, wie Starrex den Laser abfeuerte.
Eine Entscheidung! Wasser brandet gegen mich. Der Wind streckt seine Krallen aus, als wolle er uns aus diesem armseligen Unterschlupf zerren, damit die Jäger uns leichter zu fassen kriegen. Wasser – See – die See – die Seekönige von Nath!
Fieberhaft ergriff sie diese Chance. Sie wußte wenig über die Seekönige, die einst über die Inselkette östlich von Ty-Kry geherrscht hatten. So lang lag es zurück, seit sie Ty-Kry damals bedroht hatten, und der Krieg damals war Legende, nicht aufgezeichnete Geschichte. Und durch Verrat waren die Seelords und ihre Feldherrn in die Hand des Feindes gefallen.
Der Giftkelch von Nath. Tamisan zwang sich dazu, sich daran zu erinnern und die Erinnerung festzuhalten. Und nun, da sie ihre Entscheidung getroffen hatte, war sie gleich viel ruhiger. Sie streckte die Hände aus und berührte erneut Starrex und Kas, letzteren nicht einmal beabsichtigt, es war eher, als tat ihre Hand unbewußt, was getan werden mußte, sollte ihr Versuch diesmal gelingen.
Der Giftkelch von Nath – nur würde er diesmal nicht geleert werden.
Tamisan öffnete die Augen. Nicht Tamisan! Ich bin Tam-sin! Sie setzte sich auf und schaute sich um. Weiche Decken von blassem Grün glitten von ihrer Blöße. Als sie ihren Körper betrachtete, stellte sie fest, daß ihre Haut nicht mehr sonnenbraun, sondern perlweiß war. Sie saß in einem riesigen Bett von der Form einer Muschel, deren eine Hälfte sich als Baldachin hoch über ihrem Kopf schwang.
Sie war nicht allein. Vorsichtig drehte sie sich ein bißchen um, um ihren schlafenden Gefährten zu mustern. Er wandte ihr den Rücken zu und hatte die Decken hochgezogen. So konnte sie nur eine Schulter sehen, deren Haut so bleich wie ihre eigene war, und krauses Haar, das wie eine enge Kappe um seinen Kopf lag. Es war rotbraun, die Farbe von sturmgeschütteltem Seetang.
Noch vorsichtiger streckte sie einen Finger aus und berührte mit der Spitze ganz behutsam die aus den Decken ragende nackte Schulter. Nun war sie sicher! Der Schläfer seufzte und rollte sich zu ihr herum. Tamisan lächelte und verschränkte die Arme unter den kleinen hohen Brüsten.
Sie war Tam-sin, und er Kilwar, der Starrex und Hawarel gewesen und jetzt Lord von LochNar in der Nahsee war. Aber es hatte doch auch einen dritten gegeben! Ihr Lächeln schwand, als ihre Erinnerung zurückkehrte. Kas! Wachsam und besorgt zugleich sah sie sich im Zimmer um mit seinen Perlmuttwänden und den blaßgrünen Vorhängen. Alles hier war Tam-sin vertraut.
Hier war Kas jedenfalls nicht, was aber nicht bedeutete, daß er nicht irgendwo in der Nähe lauerte, wenn er seinem Charakter auch in einer neuen Gestalt treu geblieben war.
Ein warmer Arm legte sich um ihre Taille. Verwirrt blickte sie hinunter in seegrüne Augen, die sie kannten und auch Tamisan, ihr anderes Ich. Unterhalb dieser wissenden Augen lächelten feste Lippen.
Die Stimme klang vertraut und doch fremd. »Das verspricht ein sehr interessanter Traum zu werden, meine Tam-sin.«
Sie gestattete, daß er sie an sich zog. Vielleicht, nein, ganz sicher, hatte er recht.
II. TEIL
DAS SCHIFF IM NEBEL
1.
Tam-sin, die als die Träumerin Tamisan geboren war, stand am schmalen Fenster des Felsenturms. Unter ihr warf sich die See gegen den Turm, und ihr Gischt spritzte so hoch, daß sie sich nur aus dem Fenster zu lehnen brauchte, um den salzigen Schaum mit der Hand aufzufangen. Es würde ein rauher, sturmumtoster Tag werden. Doch trotz der immer wütender
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