Traum ohne Wiederkehr
halten und keine Händler innerhalb der Grenzen der von ihnen eroberten Länder dulden. Es könnte leicht sein, daß gerade jene, die die Ursache waren, daß Quinquare damals verlassen wurde, eben wegen dieser Kamocks ihr Wirkungsfeld verlegten. Nur verstehe ich nicht, was sie überhaupt profitieren? Sie überfallen selbst keine Schiffe, um sie zu plündern, außer der Kauffahrer war ihre Beute und sie kaperten seine Fracht und versiegelten die Ladeluke wieder, aber das glaube ich nicht. Pihuys ist ein viel zu erfahrener Seemann, um nicht zu erkennen, ob ein Schiff mit Ballast segelt oder vollgeladen ist. Also erscheint es mir eine recht umständliche Falle, nur um eine Handvoll Seeleute zu schnappen, die sich an Bord des Schiffes wagten, das sie für Beutegut hielten.«
»Sechs Mann von einer zehnköpfigen Besatzung, Bruder, ist kein geringer Fang«, entgegnete Rhuys.
»Nicht aus unserer Sicht. Aber wenn dieses Spiel schon lange im Gange ist …« Kilwar runzelte die Stirn. »Vielleicht wissen wir ein wenig mehr, wenn wir Antwort von Lochack und Lockriss bekommen haben. Wenn die Nachricht eintrifft, bin ich in unseren Gemächern zu finden.« Er streckte die Hand aus, und Tam-sin legte die Fingerspitzen leicht auf sein Handgelenk, als sie sich beide umdrehten und Rhuys allein ließen.
Sie wechselten kein Wort, bis sie sich wieder in dem Gemach befanden, in dem sie gemeinsam aufgewacht waren. Kilwar trat zum Fensterschlitz und schaute hinaus.
»Ein Sturm braut sich zusammen«, sagte er. »Vielleicht kann überhaupt kein Schiff auslaufen, auch wenn es noch so dringend ist.«
»Kilwar!«
Als sie seinen Namen rief, drehte er sich um. Tam-sin blickte schnell nach rechts und links. Sie hatte das ungute Gefühl, daß sie selbst hier beobachtet wurden, daß man ihnen vielleicht nachspionierte. Doch der Teil ihres Ichs, der diese Burg gut kannte, wußte, daß eine solche Überwachung hier nicht möglich war.
»Das Siegel …«, murmelte sie.
»Ja, das Siegel.« Er trat näher an sie heran, als hätte auch er das Gefühl, beobachtet zu werden. »Du sagtest einmal, diese Träume machen uns zu den Personen, die wir gewesen wären, hätte die Geschichte an einem bestimmten Punkt einen anderen Verlauf genommen.«
»Das glaubte ich.«
»Glaubte? Heißt das, daß du nicht mehr dieser Ansicht bist?«
»Ich weiß es nicht. Zu meinen Vorfahren gehörten keine Seemenschen. Zu deinen, mein Lord?«
»Nicht, daß ich wüßte. Aber es hat den Anschein, daß mein Haus sich hier befindet, obgleich ich ihm nicht angehöre.«
»Kas ist hier.«
»Ja, Kas. Könnte es sein, daß er durch eine Laune des Schicksals Clanlord geworden ist? Gibt es eine Möglichkeit für dich, es zu erfahren, Tam-sin?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, wie ich schon bei unserem ersten Abenteuer sagte, sind dies keine normalen Träume, deren Handlungsverlauf ich beeinflussen kann. Ich selbst bin in ihnen gefangen, und das ist unnatürlich. Ich kann den Traum abbrechen, zumindest hoffe ich es, aber wie du weißt, müssen wir drei, die wir gemeinsam hierherkamen, dazu zusammen sein. Und wir haben Kas nicht.«
»Außer er ist Teil dieses Geisterschiffrätsels. Und indem wir seine Geheimnisse zu lösen versuchen, finden wir vielleicht auch ihn«, meinte Kilwar. Er blickte sie nachdenklich an. »Ich bin nicht der Mensch, der Gespenster sieht, aber ich spüre Gefahr hier, genau wie sie uns im Hof der Oberkönigin erwartete.«
»Hüte dich vor Rhuys.« Es erschien ihr das Wichtigste zu sein, daß er vor ihm gewarnt wurde. »Er ist verbittert, und genau wie Kas beneidet er dich um das, was ihm fehlt. Kas wollte deine Stellung als Clanoberhaupt und deinen Reichtum. Rhuys will das gleiche, aber zusätzlich brennt in ihm noch der Neid, daß du gesunde Glieder hast, und er nicht, und er fühlt sich vom Leben benachteiligt und ausgeschlossen.«
»Dem Teil meines Ichs, der hier geboren ist«, sagte Kilwar bedächtig, »gefällt das, was du sagst, gar nicht. Aber du hast recht. Blutbande halten ihn noch zurück, denn schließlich sind wir Brüder. Doch Bruderhaß kann schlimmer sein als jeder andere. Aber dich haßt er noch mehr. In seinen Augen ist unsere Verbindung erniedrigend, denn du bist Seesängerin und von einem geringeren Haus. Außerdem hätte er gern verhindert, daß ich einen Erben bekomme.«
»Seesängerin«, echote sie nachdenklich und forschte in ihrer Erinnerung. Ja, sie war tatsächlich eine Seesängerin. Und kaum hatte sie Tam-sins Gedächtnis
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