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Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)

Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)

Titel: Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Huber
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Pflege- und Adoptivfamilien – auch nur in eine sozial angepasste Entwicklungsrichtung zu bringen, um ein Minimalziel von Sozialisation zu benennen. Sein Bindungsverhalten wird unter Umständen nie mehr ein sicheres werden. Was das bedeutet, dazu später mehr.
    Müssen Kinder in den ersten Lebensmonaten unbedingt die leibliche Mutter und den leiblichen Vater um sich haben? Glücklicherweise ist dies nicht die zwingende Forderung der Natur. Denn Bindungen kann das Kind nicht nur herstellen zur Mutter und zum Vater, sondern auch zu einer gewissen Anzahl anderer Menschen, die ihm in frühen Jahren nahe sind und das heranwachsende Kind versorgen. Wie wir aus der Sage von Romolus und Remus sowie der Kaspar-Hauser-Geschichte und den Berichten über „Wolfskinder“ wissen, können sogar Tiere – zumindest vorübergehend – entscheidende Bezugs„personen“ für Kinder sein.
    Normalerweise sind es allerdings eher Großmütter, Tagesmütter, Babysitter und „Nannys“ aller Art, die – wenn sie denn verlässlich und liebevoll für das Kind da sind – gute „Ersatzmütter“ abgeben.
    Doch leider ist es tatsächlich so, dass niemand eine gute Mutter ersetzen kann. Denn das Kind kennt ihren Herzschlag, ihre Stimme und ihren ganz speziellen Duft und kann sie von Geburt an von Herzschlag, Stimme und Duft anderer Frauen unterscheiden (Chamberlain, 1998). Wenn die Mutter aber unglücklich ist, keine Zeit für das Baby hat oder es eher zu misshandeln droht, ist allemal eine verlässliche Bindungsalternative besser (Cassidy & Shaver, 1999).
    Etwa die Hälfte aller Kinder von berufstätigen Müttern sind sicher gebunden, wie Untersuchungen zeigen; doch bei nicht berufstätigen Müttern sind es rund 70 Prozent (Cassidy & Mohr, 2001). Auf die Gefahr hin, missverstanden zu werden: Ein kleines Kind scheint doch im ersten Jahr die Mutter sehr zu brauchen, um eine sichere Bindung zu bekommen. Doch, wie gesagt, nur dann, wenn es der Mutter mit dem Kind gut geht. Zwingen sollte man eine Mutter nie, beim Kind zu Hause zu bleiben; denn gezwungen zu sein, sich „auf dem Altar der Mutterschaft zu opfern“, wird sie dem Kind unter Umständen lebenslang zum Vorwurf machen (siehe Huber & Rehling, 1987).
    Bindung ist insgesamt nicht eine Sache der Quantität, sondern der Qualität des Umgangs. Vor allem ist Bindung eine Frage der Intimität, des unmittelbaren liebevollen körperlichen, seelischen und sozialen Umgangs zwischen Erwachsenem und Kind. Mit anderen Worten, um eine Abwandlung eines Kernsatzes von Martin Buber zu verwenden: „Jede wirkliche Entwicklung heißt Begegnung.“
    Die Fähigkeit zu dieser spezifischen Form von Begegnung, die wir Bindung nennen, wird als basales, angeborenes, biologisch adaptives, sogenanntes motivationales System  betrachtet, welches das Baby dazu drängt, einige wenige enge Beziehungen in seinem Leben einzugehen.
    Es sind dies also ganz spezielle Beziehungen, in denen das Kind
     
zum Bindungsobjekt (also zunächst: zu der oder dem Erwachsenen, die es versorgen, vorzugsweise der Mutter) Nähe suchen wird;
ein Gefühl dem Bindungsobjekt gegenüber entwickelt, bei ihm sei es in einem „sicheren Hafen“ – denn wenn es aufgeregt ist, vor allem, wenn es Angst hat, wird die Erwachsene es in seinem Leid trösten, und
ein „inneres Arbeitsmodell einer sicheren Basis“ entwickeln wird – ein internes Schema des Verhältnisses zwischen seinem Selbst und anderen Bindungsobjekten oder späteren wichtigen Beziehungspersonen. Dieses Arbeitsmodell wird dem Kind ein Gefühl der Sicherheit verleihen, die Welt zu erkunden; wird ihm ein Gefühl des Wohlbefindens vermitteln und ihm beibringen, sich selbst zu trösten, wenn es in Zukunft leidvolle Erfahrungen machen wird. Aus dem inneren Arbeitsmodell des Kindes entwickelt sich die sogenannte Bindungsrepräsentation  des erwachsenen Menschen. Sie bestimmt, ob dieser Mensch empathiefähig ist, und sie macht sein Beziehungs- und Bindungsverhalten vorhersagbar (Brisch 2002).
    So lautet, kurz zusammengefasst, eine zentrale und bis heute vielfach bewiesene Erkenntnis der Bindungsforschung. Diese wurde von John Bowlby begründet, dem erst in seinen späten Jahren Anerkennung für seine von der traditionellen Psychoanalyse abweichenden, durch zahlreiche empirische Versuche gesicherten Erkenntnisse gelang (Bowlby, 1975, 2001).
    Wo Bowlby noch vor allem solche Traumata wie Vernachlässigung und frühen Verlust von Bezugspersonen für die Störung der sicheren Bindung

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