Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
studieren, werden Sie feststellen, dass wir sie auch auf die eventuellen späteren heilsamen, z. B. therapeutischen Beziehungen zwischen TherapeutIn und KlientIn übertragen können:
1. Wechselseitige Einstimmung (collaboration)
In einer stimmigen Kommunikation mit dem Säugling kommt es normalerweise zu einer direkten Reaktion hinüber und herüber, die in Qualität und Timing aufeinander abgestimmt ist. (Sozusagen das gemeinsame „Gaga“ auf höherer Ebene.) Diese Kommunikation hat ihr Fundament in nonverbalen Signalen, die ausgetauscht werden: Augenkontakt, Gesichtsausdruck, Stimmlage, Körpergesten und Zeitpunkt sowie Intensität der Reaktionen sind solche grundlegenden Aspekte nonverbaler Signale. In der Psychotherapie nennen wir dies „Rapport halten durch Pacing“ (siehe u.a. Kaiser Rekkas, 2001).
2. Reflexiver Dialog (reflective dialogue)
bedeutet, mit Worten die innere Erfahrung jedes Mitglieds der Dyade, also der Zweierbeziehung, zu fokussieren und dies miteinander zu teilen. Die Bindungsperson, die dieses Prinzip beherrscht, erkennt die vom Kind ausgesandten Signale, macht sich einen Reim darauf und spiegelt dies dem Kind auf solche Weise zurück, dass für das Kind „Bedeutung“ entsteht – auch wenn es vielleicht erst sehr viel später in der Lage sein kann, diese Bedeutung selbst in Worte zu fassen. Solche innere Erfahrungen oder „seelischen Zustände“, die der erwachsene Mensch bei sich selbst und beim Kind wahrnimmt und dem Kind zurückspiegelt, können sein: Emotionen, Wahrnehmungen, Gedanken, Absichten, Erinnerungen, Vorstellungen, Überzeugungen und Einstellungen. Indem die erwachsene Person sich direkt auf diese Aspekte des Seelischen bezieht, kann sie im Kind den Eindruck erwecken, dass subjektive Erfahrung sowohl bedeutsam als auch kommunizierbar ist. Und dass sie auch Gegenstand gemeinsamen Fühlens und Sprechens sein kann. Mit anderen Worten: Die Seele selbst wird zum Gegenstand des Austausches zwischen zwei Seelen. Auf diese Weise entwickelt das Kind etwas, das Siegel „mindsight“ nennt: die Fähigkeit der Psyche/Seele (mind), sich eine einsichtsvolle Vorstellung (sight) von der Psyche anderer und von der eigenen Seele zu machen. Martin Buber hat sicher etwas Ähnliches gemeint, als er sagte: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“ In der Psychotherapie werden wir solche Aspekte stets wiedererleben. Wenn ich etwa mit einer dissoziativen KlientIn arbeite, muss ich häufig einen Satz sagen wie: „Alles von allen Anteilen in Ihnen ist wichtig!“ Und mich auch entsprechend verhalten. Diese Ermutigung zu „mindsight“ ist tatsächlich für die meisten früh traumatisierten Menschen etwas Neues!
3. „Reparieren“ und Anknüpfen nach unterbrochener Kommunikation (repair)
Das Wiederanknüpfen an eine unterbrochene Zweierkommunikation ist heilsam und wichtig für das Kind. Manchmal sind die Erwachsenen zu stolz dazu – dann lassen sie das Kind allein in einer vielleicht schambesetzten Isolation. Längere Kontaktunterbrechung, besonders in Verbindung mit Feindseligkeit und Demütigung, kann sich schrecklich auf das sich entwickelnde Selbst eines Kindes auswirken. Es wird sich dann verlassen und einsam fühlen. Umgekehrt kann ein Reparieren der unvermeidlichen Kontaktunterbrechungen – kein Erwachsener kann und sollte immerzu für das Kind da sein – sich ganz selbstverständlich einstellen. Allerdings setzt es voraus, dass die erwachsene Person ihre Fürsorglichkeit auf konsistente, vorhersehbare, nachdenkliche, absichtsvolle und durchdachte Weise dem Kind anbietet. Für PsychotherapeutInnen heißt das: Wir sollten nicht darauf warten, dass unsere früh in ihrer Entwicklung gestörten KlientInnen einen „abgerissenen Gesprächsfaden“ von selbst wieder aufgreifen. Sondern wir TherapeutInnen müssen die Beziehung halten und die unterbrochene Kommunikation stets aufs Neue wieder anknüpfen.
4. Kohärente Geschichten (coherent narratives)
Erwachsene mit einer flexiblen Fähigkeit, ihre eigenen Erfahrungen über die Zeit hinweg zu integrieren, scheinen auch in der Lage zu sein, integrierende zwischenmenschliche Kommunikation mit ihren Kindern zu leben. Außerdem können die Erwachsenen die Kinder über die Welt des Selbst und der anderen etwas lehren, indem sie mit ihnen das teilen, was Siegel die „Ko-Konstruktion von Geschichten über Lebensereignisse“ nennt: gemeinsam erfundene oder gefundene Geschichten, die sich auf Handlungen wie auf den Charakter der
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