Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
wird manchmal von solchen Zuständen „überwältigt“, doch sie kann sie nicht selbst verkörpern. Ellert Nijenhuis hat dies in eindrucksvollen Studien gezeigt: Wenn man einer solchen ANP oder „Alltags-Person“ eine selbst geschriebene Geschichte über ein von ihr erlebtes Trauma vorliest, wird sie darauf im Gehirn reagieren wie auf irgendeine fremde Geschichte. Liest aber eine EP – etwa ein traumatisiertes „Innenkind“ oder ein entsprechender Ich-Zustand in einer Persönlichkeit – dieselbe (eigene) Traumageschichte, erfolgen im Gehirn die Reaktionen, die immer stattfinden, wenn traumatische Erinnerungen „angetriggert“, also ausgelöst werden: Die Hirnregionen des Amygdala-Systems feuern, und die Person bekommt heftige gefühlsmäßige und körperliche Reaktionen: Angst, Schmerz ... (Nijenhuis, van der Hart & Steele, 2002).
Am besten untersucht sind solche Spaltungen bei Vietnam-Veteranen und anderen Soldaten, die teilweise sogar ihre Traumatisierungen ohne jeden Affekt berichten können.
Der Göttinger Stressforscher Gerald Hüther glaubt, dass solche Abspaltungsprozesse eine teils unbewusste, teils bewusste Strategie des traumatisierten Menschen sein können: „Wenn es einem Menschen nach einer solchen traumatischen Erfahrung nicht gelingt, die unkontrollierbare Stressreaktion irgendwie anzuhalten, so ist er verloren, denn die dadurch ausgelösten Destabilisierungsprozesse können lebensbedrohliche Ausmaße annehmen.“ Daher versuche er „mit allen Mitteln, die traumatische Erfahrung und die posttraumatisch immer wieder aufflammenden Erinnerungen an das erlebte Trauma unter Kontrolle zu bringen“. Was sich bislang an Abwehrmechanismen bewährt hatte, ist „ad absurdum geführt“, da es ja trotzdem zum Trauma gekommen ist. „Die einzige Strategie, die ihm nun noch Linderung verschaffen kann, ist die Abkoppelung der traumatischen Erfahrung aus dem Erinnerungsschatz ... Auf diese Weise entstehen zunächst kleine, durch ihre wiederholte ,erfolgreiche‘ Nutzung aber schließlich immer breiter und effektiver werdende zentralnervöse ,Umgehungsstraßen‘ und ,Umleitungen‘.“ Diese Umleitungen können dann, so Hüther, derart gründlich genutzt werden, „dass bei manchen PTSD-Patienten die Erinnerung an das traumatische Erlebnis schließlich nicht mehr abrufbar ist. Bei manchen wird die gesamte emotionale Reaktionsfähigkeit und damit auch die basale Aktivität und Aktivierbarkeit der HPA-Achse permanent unterdrückt.“ (Hüther, 2001 a)
Andere Menschen können nach Traumata nicht ganz so durchgängig abspalten, dass sie sozusagen gar nichts mehr vom Trauma spüren. Viele entwickeln zwar ein Alltags-Ich (ANP), das „blande“ ist, also sich weitgehend Erinnerungen und generell gefährliche Emotionen vom Hals hält. Doch in Albträumen und anderen „über sie kommenden“ emotionalen Zuständen (EPs) werden sie überflutet von den schrecklichen Erinnerungen und können diese dann keineswegs „im Zaum halten“.
Auch viele andere traumatisierte Menschen erleben eine solche Spaltung: An der Oberfläche funktionieren sie, doch in „Nischen des Alltags“ – beim Tagträumen, Spülen, nachts, zwischen Traum und Wachen oder in Albträumen – werden sie heimgesucht von dem abgespaltenen Horror.
C. DDNOS
Eine andere Form von chronischer Dissoziation, die wir häufig im klinischen Bereich finden und für die es (im DSM-IV) bisher nur die unbefriedigende Diagnose „Dissoziative Störung nicht näher bezeichnet“ (DDNOS) gibt, ist im Dreieck unter C zu sehen. Hier habe ich eine Dreiecksform gewählt, weil viele dieser Persönlichkeiten sich eher als „eingeschnürt“ empfinden denn als ganze, runde Persönlichkeit. Der linke Schenkel des Dreiecks ist die Zeitachse. Im unteren Bereich ist zu sehen, wie durch traumatische Einwirkung die kindliche Persönlichkeit sich in Zustände oder sogar Teilpersönlichkeiten abgespalten hat; doch irgendwann (hier beispielsweise: im Alter von 13 Jahren) hörten die Gewalterfahrungen auf. Wenn der junge Mensch dann die Gelegenheit – etwa durch einen Wechsel der Umgebung und Bezugspersonen – bekommt, noch einmal eine kohärentere Entwicklung zu machen, entwickelt sich oft eine Alltagsperson (ANP) mit kleinen Erinnerungen (das ist der schmale „Kanal nach unten“) an die Kindheit, überwiegend werden die guten Erinnerungen zugänglich sein.
Die Persönlichkeitsstruktur sieht dann so aus: große biografische Lücken bis zum 13. Lebensjahr, bis auf
Weitere Kostenlose Bücher