Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)

Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)

Titel: Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Huber
Vom Netzwerk:
wiederholen sich.
    Ganz allmählich lernt das Kind zwei wesentliche Dinge:
     
Wie es einen unangenehmen Zustand beenden kann – anfangs durch Unmutsäußerungen wie „Nöckeln“, Weinen, Schreien, später durch komplexere verbale (bitten und betteln ...) und nonverbale (am Rock der Mutter zupfen, sich selbst trösten, ablenken ...) Verhaltensweisen;
wie es einen angenehmen Zustand herstellen und aufrechterhalten kann – anfangs durch Wohllaute, später Lächeln, Lachen (dann lacht auch das Gegenüber! Babys sozialisieren ja durchaus auch ihre Bezugspersonen) sowie nach der Brust greifen, nach Spielzeug greifen, schaukeln, ein Lieblingsbuch anschauen, der Mutter auf den Schoß klettern ...
    Wenn ein Kind früh traumatisiert wird, dann wird die Entwicklung dieser beiden Fähigkeiten behindert, die ganz wesentlich dafür sind, ein Selbst-Gefühl zu fördern. Ein Kind, das misshandelt wird, kann diesen unangenehmen Zustand nicht selbst beenden, es kann nicht bestimmen, wann ein angenehmer Zustand beginnt, und es findet oft kein anderes Mittel außer innerlich „wegzugehen“ – also zu dissoziieren –, um in einen anderen Ich-Zustand zu kommen.
    Auf der nächsten Stufe lernt das gesunde Kind dann, Metakognitionen über sich anzustellen:
     
Wer bin ich eigentlich – über verschiedene Zustände hinweg?
Was gehört nicht zu mir – auch wenn ich mich manchmal so fühle oder verhalte –, weil es nicht mein „Eigentliches“ ist?
    Auch in dieser Phase kann durch Traumatisierungen schwerer Schaden in der kindlichen Entwicklung angerichtet werden: Ein Kind, das auf ein und dasselbe Verhalten einmal eine positive, einmal eine negative und einmal gar keine Reaktion erhält, kann die Fragen: „Wer bin ich? Und was gehört nicht zu mir?“ vermutlich kaum oder gar nicht beantworten.
Ein Beispiel:
Die kleine Sarah ist ein unerwünschtes Nachzügler-Kind. Ihre Mutter überlässt sie schon als Baby weitgehend sich selbst. Wenn Sarah in Not gerät, nützt ihr kein Quengeln, sondern sie muss laut schreien, damit sie vielleicht – vielleicht! – bekommt, was sie braucht. Ihre Mutter findet, Sarah sei ein „nerviges Kind“. Sie lässt sie oft schreien (keine Reaktion); manchmal gibt sie ihr, was sie braucht, vielleicht sogar – wenn sie gut gelaunt ist – mit der anerkennenden Bemerkung: „Du bist aber durchsetzungsfähig!“ (positive Reaktion); aber es kann genauso gut sein, dass sie das Kind schlägt: „Sei endlich ruhig – du bist ein unerträgliches Kind, so mag dich keiner!“ (negative Reaktion). Sarah ist verwirrt. Sie kann nicht bestimmen, wie ein unangenehmer Zustand aufhört, kann einen angenehmen nicht gezielt erreichen, weiß nicht, ob ihr Verhalten gut oder schlecht – daher auch nicht, ob sie selbst „gut“ oder „böse“ ist ... Aber da Sarah über eine gute Dissoziationsfähigkeit verfügt, schafft sie sich unterschiedliche Ich-Zustände. Sie achtet dabei sehr genau auf ihre Mutter: Was mag die Mutter jetzt gerade von ihr wollen? Und dann versucht sie, genau dieser Erwartung zu entsprechen. Statt sich also selbst zu sehen und ihr Innenleben zu ordnen (so bin ich nun mal – und das kann ich oder will ich nicht ...), lernt Sarah, sich selbst aus der Perspektive der jeweils anderen zu sehen. Oder auch nur aus der Vorstellung davon, wie die anderen sie vielleicht sehen oder haben wollen. Aber das „böse Kind“ gibt es auch, und das kommt dann manchmal zum Vorschein und tut auch etwas „Böses“ ...
    Chronische Dissoziation
    Vom Ergebnis dieses Prozesses erzählt ein Zitat aus dem amerikanischen Buch „Loving to survive“ von D.L. Graham: „Wenn der Terror lange anhält, betrachten sich die Kinder in ihrem ganzen So-Sein schließlich durch die Augen des Täters und erzählen uns das. Wenn wir sie fragen, was sie selbst dazu denken und fühlen, erzählen sie, wie die misshandelnden Eltern sich fühlen und über sie denken. Wenn wir sie darauf hinweisen, was sie da gerade tun, und unsere Frage wiederholen, sagen sie: ,Ich weiß nicht‘.“ (Graham, 1994)
    Der Grund ist einfach, wie es Harvey Schwartz in seinem eindrucksvollen Buch „Dialogues with forgotten Voices“ (2000) schildert: Misshandelte und vernachlässigte Kinder sind sozusagen die „Geiseln ihrer Eltern“ und überlebensabhängig von ihnen. Eine Mutter, die ihr Kind im Stich lässt und verrät, ihm Gewalt antut und es vernachlässigt, bedroht damit sein Überleben, zumindest in den ersten Lebensjahren. Also werden Kinder wie

Weitere Kostenlose Bücher