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Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)

Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)

Titel: Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Huber
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Angst, weil sie bemerkt, dass ihr viele „Fehler“ unterlaufen, dass sie im Alltag Zeit verliert. Zeit, in der sie offenbar gehandelt hat, aber sie kann sich nicht mehr oder nur noch schemenhaft daran erinnern. Sie gewöhnt sich an, nicht mehr so genau nachzusehen, was in der Zeit wohl so alles gewesen ist, und vermutet, sie sei sehr „vergesslich“ oder würde eben viel „tagträumen“. Meist hat sie das auch schon in der Kindheit getan: hat sich weggeträumt aus der unangenehmen Realität. Oder ist morgens aufgewacht mit Schmerzen und blauen Flecken, aber nur noch dem Hauch einer Ahnung, dass da irgendetwas Schreckliches war in der Nacht. Doch jeder Versuch nachzudenken bringt Kopfschmerzen, daher versucht sie sich eher abzulenken.
    Nur selten bemerken Außenstehende, dass ein Mensch sich derart aufgespalten hat.
Ein Beispiel:
Lothar Nahl (Name geändert) kommt als Kollege in meinen Fortbildungskurs. Er setzt einen kleinen Bären vor sich hin. Anfänglich tut er so, als sei dies nur eine Marotte von ihm, nach dem Motto: „Mein Bär ist mein Maskottchen, er begleitet mich überall hin.“ Doch mit der Zeit sehe ich, wie er während der Fortbildung mit diesem Plüschtier spricht, wie er ihm zuzuhören scheint, ihn – wie auf dessen Kommando – irgendwo anders hinsetzt. Lothar tut dies automatisch, ohne dass er sich kontrollieren kann. Die Teilnehmer links und rechts schauen ihn manchmal erstaunt an, aber das scheint er gar nicht zu bemerken. In einer Pause gehe ich zu ihm hin und hocke mich neben seinen Stuhl, auf Augenhöhe mit dem kleinen Bären. „Und was meint der Bär – hat er übrigens einen Namen? – zu unserem Thema von heute?“ – „Er heißt Lotti und ist eine Sie, und sie fürchtet sich ein bisschen“, sagt Lothar mit hoher leiser Stimme. „Wisst ihr was, Lothar und Lotti, ich glaube, wir sollten uns mal in Ruhe zusammensetzen und überlegen, ob das hier die richtige Umgebung für euch ist.“ Ich gebe meiner Stimme einen scherzhaften Ton, doch etwas in Lothar hat dies als Bedrohung aufgefasst, ich könnte ihn vielleicht aus der Fortbildung ausschließen. „Eh, was soll der Quatsch!“, kommt eine grollende Stimme aus Lothars Innerem. „Schmeißen Sie uns bloß nicht raus. Wir sind nicht multipel!“ – „Ah ja?“, schmunzele ich. „Dann sollten wir doch mal nachher gemeinsam nachdenken, was jetzt das Richtige ist. Bleibt ihr nachher noch da?“ Ein ängstlicher Blick, ein zögerndes Nicken. Und ich weiß, dass mir eine Überzeugungsarbeit bevorsteht: Unintegrierte Multiple – also Menschen mit einer dissoziativen Identitätsspaltung, die ihre Anteile noch nicht bewusst koordinieren können – dürfen nicht an meinen Therapeuten-Fortbildungen teilnehmen, da bin ich ganz streng. Erst einmal eine Psychotherapie machen, die Persönlichkeit koordinieren lernen, dann in Ruhe explorieren, ob Traumatherapie wirklich das richtige Fortbildungsziel ist, und danach – wir werden sehen ...
    Bedingung für dissoziative Identitätsstörung
    Fünf Bedingungen sind es, die zusammenkommen müssen, damit eine dissoziative Identitätsstörung entstehen kann:
     
schwere, langjährige Misshandlungen, beginnend zwischen Geburt und sechstem Lebensjahr (nur ein bis vier Prozent sind andere Traumatisierungen, etwa todesnahe Situationen in früher Kindheit oder sehr schmerzhafte operative Eingriffe, verbunden mit längerer Trennung von den Bezugspersonen);
Geschlecht weiblich (nur 10 bis 20 Prozent der dissoziativ identitätsgespaltenen Menschen sind männlich);
sehr gut ausgeprägte Fähigkeit zu dissoziieren;
kein „gutes Objekt“, also kein Elternteil oder nahe Bezugsperson bietet dem Kind kontinuierlich und verlässlich eine sichere Bindung an;
niemand hilft in der Kindheit und Jugend, das traumatische Geschehen zu realisieren, also ins Bewusstsein zu heben und zu verarbeiten (siehe auch Putnam, 1989 – deutsch: 2003 – und 1997; Kluft & Fine, 1993; Ross, 1997).
    In meinem Handbuch über multiple Persönlichkeiten (Huber 1995) findet sich mehr über diese extreme dissoziative Spaltung und die Folgen. Hier nur so viel: An multiplen Persönlichkeiten, also Menschen mit einer dissoziativen Identitätsspaltung, können wir viel lernen und erkennen darüber, weshalb Dissoziation ein so erfolgreicher Abwehrmechanismus ist – aber auch, wie schwer es ist, dauerhaft mit unwillkürlichen Dissoziationen leben zu müssen.
    Grundsätzlich unterscheiden wir drei „Entitäten“, drei dissoziative Einheiten

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