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Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)

Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)

Titel: Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Huber
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TherapeutInnen nicht nur Takt und Feingefühl, sondern auch im richtigen Moment zupackendes Handeln verlangt.
    Grundmotive für Suizid
    Meiner eigenen Empirie nach – aus rund 800 Behandlungen von (phasenweise oder chronisch) suizidalen Menschen nach Traumatisierungen – gibt es mehrere durchaus unterschiedliche Grundmotive Traumatisierter, aus dem Leben gehen zu wollen. Ich möchte Ihnen hier diese drei von mir beobachteten Grundmotive vorstellen und in ein Modell integrieren. Jedem Modell haftet naturgemäß etwas Spekulatives an, und es würde mich freuen, wenn es Kolleginnen anregt, dazu mehr zu forschen.
    Durch Traumatisierung entsteht eine tief greifende Spaltung, die oft schon angelegt ist im Moment des Traumas, im Moment des „Freeze“, der unbewussten, manchmal auch bewussten Erkenntnis: „Jetzt muss ich etwas erdulden, was unaushaltbar ist.“ Diese Spaltungsprozesse werden „peritraumatische Dissoziation“ genannt (siehe Kapitel 2).
    Bei Gewaltüberlebenden gibt es eine Art „Sortierprozess“ im Zusammenhang mit dieser Dissoziation: Es entstehen Selbst-Zustände, die sich nach „Opfer-identifiziert“, depersonalisiert-beobachtend, „vom Trauma unbelastet“ und „Täter-identifiziert“ bzw. „aggressiv-selbstverteidigend“ sortieren (siehe das Modell der tertiären dissoziativen Spaltung auf Seite 138f). Wichtig ist mir hier die Spaltung in Täter-identifizierte und Opfer-identifizierte Anteile – die sogenannte Täter-Opfer-Spaltung.
    Häufig können wir beobachten, dass ein Mensch später diese beiden Zustände weit auseinanderhält. Sie erscheinen fast wie bipolare Zustände: Entweder bin ich ein hilfloses und verzweifeltes Opfer (anderer Menschen, der Umstände, des Schicksals etc.) – je nachdem, wie weit diese Opferidentität generalisiert, also wie groß der Anteil dieses Selbstanteils in der Gesamtpersönlichkeit wird – oder ich bin ein aggressiver, verurteilender, zynischer, menschenverachtender Täter-identifizierter Mensch. Wie weit dieser Anteil nur selbst-verurteilend (Täterintrojekt) oder auch aggressiv gegen andere, schwächere Lebenwesen (Täteranteil) wird, davon wird abhängen, ob dieser Anteil tatsächlich wiederum für andere Lebewesen zum Täter wird.
    Psychodynamisch schiebt sich die Depressivität (der Begriff stammt ab vom lateinischen depremere – unterdrücken) zwischen die Opferidentifikation und die Täteridentifikation in der Persönlichkeit. Sodass es insgesamt drei sehr verschiedene Ebenen in einer traumatisierten Persönlichkeit geben kann, auf denen Suizidalität ein Thema ist:
     
Opferidentifikation
Affekt:
Lebensangst: „Ich kann das Leben nicht aushalten.“
Sehnsucht:
„Es soll endlich aufhören, so wehzutun ...“
Motiv:
Selbst-Euthanasie
Suizidarten
(Beispiele)
– im Affekt vor den Brückenpfeiler;
– aus großer Höhe fallen lassen;
– vor ein Auto werfen;
– Tabletten (so viele, wie da sind);
– „unerklärliche“ Unfälle.
     
Depression
Affekt:
Resignation: „Ich kann nicht mehr hoffen.“
Sehnsucht:
„Leben lohnt sich nicht, also besser ewige Ruhe.“
Motiv:
„Bilanzselbstmord“
Suizidarten
(Beispiele)
– viele Tabletten;
– „sichere Methoden“;
– sich verstecken, um nicht gefunden zu werden;
– sich aufhängen.
     
Täteridentifikation
Affekt:
Verachtung: „Ade, du hässliche Welt.“
Sehnsucht:
Am liebsten alle umbringen.
Motiv:
(Selbst-)Hass; „erweiterter Suizid“; „russisches Roulette“
Suizidarten
(Beispiele)
– die den Körper verstümmeln: Messer, Rasierklinge, Gewehr ...
– die einen besonders qualvollen Tod bedeuten: Rattengift, WC-Reiniger ...
– die andere Menschen mit in den Tod reißen („Beziehungsdrama“, „Familientragödie“, Terroranschläge).
    Hinzu kommen natürlich Suizide und Suizidversuche, die im Drogen rausch („Ich kann fliegen!“) oder innerhalb von psychotischen Episoden („Ich muss den Wolf töten, da ist er!“) oder als Ergebnis von schwerer geistiger Behinderung bzw. Geisteskrankheit unternommen werden.
    Die drei genannten Ebenen – Opferidentifikation, Depression und Täteridentifikation – spielen in der Psychotherapie eine große Rolle. Im ersten Fall müssen wir Therapeutinnen die große Lebensangst der Klientin verstehen und darauf achten, dass sie sich nicht plötzlich im Affekt tötet, der einer Lebens-Panik entspricht. Auslöser sind oft zusätzliche Krisen (kein Geld mehr, eine Trennung ...), und wo andere Menschen ihrer Verzweiflung verbal Ausdruck

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