Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
gelebt und durchlitten sein, will aufgearbeitet werden wie ein Trauma.
Im nächsten Band „Traumabehandlung“ werde ich auch näher auf die sogenannte Trauerarbeit eingehen. An dieser Stelle bereits einige Literaturempfehlungen dazu:
Bickel & Tausch-Flemmet, 1998; Bowlby, 2001; die Bücher von Canacakis, etwa das von 1994; Cassuto-Rothman, 1998; Cook & Phillips, 1995; Dalichow, 2001; Hosansky, 1996; Jülicher, 1999; Kast, 1994 und 1997; Katschnig & Demal, 2000; Kelley, 2001; Müller & Schnegg, 1999; Neysters & Schmitt, 1993; Specht-Tomann & Topper, 2001; Spiegel, 2000; Staples-Lewis, 1998; Uffmann, 1998; Wolf, 2002.
LeserInnen mit weitergehendem fachlichen Interesse seien auch verwiesen auf: Harvey & Miller, 2000; Hesse & Van Ijzendoorn, 1998; Liotti & Pasquini, 2000; Lyons-Ruth & Jacobvitz, 1999; Malkinson et al., 2000; Tschudin, 1999.
Kapitel 7:
Warum erleben viele Traumatisierte den Zwang, sich selbst zu verletzen?
„Ich blute, also bin ich.“
Kristin Teuber, 2000
Ähnlich wie Menschen mit chronischer Suizidalität (siehe voriges Kapitel), wenn sie denn ihre Gefühle auf ihren Ursprung zurückführten, sagen könnten: „Ich war dem Tod schon einmal so nahe – irgendein Zwang oder eine Sehnsucht führt mich immer dorthin zurück“, könnten die Menschen, die sich immer wieder selbst verletzen, auch sagen: „Es hat so furchtbar wehgetan. Und etwas zwingt mich, es immer und immer wieder zu wiederholen“ (Alderman, 1997).
Bücher aus den letzten Jahren, die sich mit dem Thema der Selbstverletzung auseinandersetzen, spiegeln diese Wahrheit wider: „Damit ich den inneren Schmerz nicht spüre“ heißt zum Beispiel ein Ratgeber für betroffene Frauen und ihre Angehörigen (Smith et al., 2000). „A bright red scream“ – ein hellroter Schrei – nennt Strong (1998) eine Analyse der Selbstverletzung als „Sprache des Schmerzes“. Und Teuber (2000) schließlich nennt ihren Ratgeber zum Thema kurz und knapp: „Ich blute, also bin ich.“
In allen Fällen stimmt die Erkenntnis mit der überein, die der französische Philosoph und Psychiater Pierre Janet vor rund 120 Jahren hatte:
„Ein Trauma, das man nicht realisiert, muss man wiedererleben oder reinszenieren.“
(Janet, 1889, siehe auch Levine, 1994)
Wer diese einfache Wahrheit verstanden hat, kann sich damit einiges erklären, was wir bei schwer traumatisierten Menschen – insbesondere bei Frauen nach sexueller Gewalterfahrung – häufig beobachten können: Sie kratzen, ritzen oder schneiden sich die Arme auf, drücken brennende Zigaretten auf ihrem Körper aus, schlagen mit dem Kopf gegen die Wand, verstümmeln sich im Genitalbereich oder an den Brüsten ... Und meist stehen Angehörige und oft genug auch Profis vor einem Rätsel: Warum macht sie das nur? Warum tut sie sich das selber an?
Reaktionen der Umwelt auf selbstverletzendes Verhalten reichen von Bagatellisieren („Sie kann nichts dafür“ – „Macht nichts, ein Pflaster drauf und Schluss“) über Entsetzen, Hilflosigkeit und Mitleid („O Gott, all das Blut!!“ – „Jetzt haben wir so oft darüber gesprochen, und nichts hilft – sie macht es trotzdem!“ – „Das muss doch schrecklich sein, sich selbst so etwas anzutun!“) bis hin zu Ärger, Wut und offenem Hass („Schon wieder!“ – „Die ist doch selbst schuld – wer so etwas macht, verdient kein Mitleid“ – „Na, dann wollen wir sie mal ohne Betäubung nähen, damit sie ordentlich Schmerzen hat, vielleicht kuriert sie das.“)
Gründe für selbstverletzendes Verhalten
Letztlich aber ist all dies Ausdruck der Ohnmacht angesichts eines Zwanges zur Selbstbeschädigung, der häufig keiner Veränderung zugänglich scheint. Außer der unmittelbaren Verbindung: Selbstverletzung ist eine Folge von Traumatisierung, gibt es häufig kein gemeinsames Muster aller Menschen – wie gesagt, meist sind es Frauen –, die sich selbst körperlichen Schaden zufügen. Sondern wir müssen genau hinsehen, um die vielen Gründe, Motive, Anlässe und Zwecke verstehen zu können.
Biologisch betrachtet ist die Sache ganz einfach: Mithilfe der Selbstverletzung „besorgt“ sich die Betroffene, aufgrund chronischer Traumatisierung unter einem dauernden Serotoninmangel leidend, körpereigene Morphine (sogenannte Endorphine). Und biologisch orientierte Psychiater überlegen bis heute – und haben viele Forschungsgelder darin investiert –, ob die „Kur“ nicht einfach darin bestehen könnte, der Patientin ein bestimmtes
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