Trauma und die Folgen: Trauma und Traumabehandlung, Teil 1 (German Edition)
individueller Ebene Möglichkeiten wie die traumazentrierte Psychotherapie entwickelt worden, um eine Unterbrechung der Gewaltspirale zu ermöglichen.
Wenn wir die Opfer (und wo immer möglich und so früh wie möglich auch die Täter) behandeln und ihnen helfen, sich dem Trauma zu stellen, und wenn wir lernen, Gewalttaten effektiver zu sanktionieren, haben wir eine reelle Chance, diese Spirale aufzulösen, die sonst immer mehr Menschen mit in den Abgrund der von Generation zu Generation weitergegebenen Traumatisierungen reißt.
Erstaunlicherweise reagieren Menschen auf Naturkatastrophen und Unglücke zwar oft nicht mit so nachhaltigen Folgen, aber doch auch mit ähnlichen Reaktionen wie auf konkrete zwischenmenschliche Gewalt. Diese Erkenntnis verdanken wir Pionierinnen wie Judith Herman oder Rachel Yehuda, Bessel van der Kolk, Onno van der Hart, Leonore Terr und anderen Autorinnen wie Figley, Burgess und Holmstrom, Lifton oder Horowitz und ihren Kollegen und Schülern und inzwischen Hunderten anderer Kolleginnen, deren wichtigste Arbeiten Sie im Literaturverzeichnis finden.
Eine vergewaltigte Frau reagiert unter Umständen sehr ähnlich wie ein Kriegsflüchtling, fand Herman heraus; ein geschlagenes Kind ähnlich wie ein Feuerwehrmann nach besonders hartem Einsatz; die Überlebende eines Tornados ähnlich wie ein Mann nach einem Raubüberfall. Sie alle können unter Umständen eine langfristige und heftige Reaktion bekommen, die man „Posttraumatische Belastungsstörung“, PTB nennt – meist aber nach dem amerikanischen Begriff „P ost -T raumatic S tress D isorder PTSD abgekürzt, was auch semantisch korrekter ist, denn es handelt sich nicht um eine Belastungs-, sondern um eine Stressverarbeitungs-Störung.
Von allen Menschen müssen zwischen 30 und ca. 60 Prozent in ihrem Leben eine unerträgliche, weil körperlich oder seelisch todesnahe Situation überstehen. Zwei Drittel von ihnen schaffen es glücklicherweise, das Ereignis ohne langfristige Schäden zu überleben. Doch einem Drittel immerhin geht es danach schlecht. Nicht nur unmittelbar danach – das geht allen Leuten so, die ein Trauma erlebt haben. Sondern auch noch mehr als drei Monate danach – der „Cut-off-Wert“, nach dem eine posttraumatische Akutreaktion in eine chronische PTSD übergeht. Auch Menschen, die nie zuvor seelisch beeinträchtigt waren, können schon nach einem einmaligen Trauma eine solche langfristige Beeinträchtigung erleben. Dann leiden sie so sehr unter den Folgen, dass sie ohne besondere Anstrengungen bzw. eine Traumatherapie nicht in der Lage sind, dieses Ereignis zu überwinden.
Allerdings wird sich für viele das Trauma bis zur Unkenntlichkeit verändern, bis sie gar nicht mehr wissen, warum es ihnen so schlecht geht. Sie kränkeln dann nur dauernd oder sind depressiv oder greifen zu Alkohol oder Beruhigungs- oder Schlafmitteln etc. – erst die nach 1945 geborene Generation „erlaubt“ es sich, für das eigene seelische Leid überhaupt eine Psychotherapie in Betracht zu ziehen.
Was sind die Umstände, unter denen dieses eine Drittel der Menschen nach extremem Stress solche posttraumatischen Stressverarbeitungs-Störungen entwickelt? Wie sieht eine solche Störung aus? Wie fühlt sie sich an? Was macht sie mit Menschen? Davon soll dieser Band handeln.
Denn immer noch ist in der Allgemeinbevölkerung weitgehend unbekannt, dass extreme Ereignisse dauerhafte Schäden machen können, die nicht einmal der betroffene Mensch selbst mit diesem Ereignis in Verbindung bringt. Wer weiß schon, dass Menschen nach extrem belastenden Ereignissen mit chronischen oder solchen Depressionen reagieren können, die episodisch wiederkehren? Dass Kinder, die vernachlässigt oder misshandelt werden, nicht nur eine Bindungsstörung entwickeln, sondern auch hirnorganische Schäden erleiden können, die ihre weitere Entwicklung beeinträchtigen? Dass langjährige Gewalt nicht nur chronisch emotional „labil“ machen, sondern eine Persönlichkeit buchstäblich in Stücke sprengen kann, sodass eine zersplitterte Identität oder eine überdauernde identitätsunsicherheit entsteht?
Und umgekehrt: Wer weiß schon, dass eine Depression oder eine Bindungsstörung, dass motorische und Lernbeeinträchtigungen, Essstörungen und der Drang, sich anderweitig selbst zu schädigen, dass Persönlichkeitsstörungen und Identitätsunsicherheiten und -spaltungen das Ergebnis von Traumatisierungen sein können und es sehr häufig tatsächlich
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