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Trauma

Trauma

Titel: Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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Umgang mit Schusswaffen und Sprengstoff bis hin zur deutschen Sprache, von juristischen Regeln bis hin zur norwegischen Grammatik, das hatte er offenbar aus Verzweiflung gelernt, als könnte er durch den Erwerb von Wissen auch Substanz und Wirklichkeit erwerben. Dennoch wachte er nachts auf und war sich sicher, dass sich hinter seinem Fenster gähnende Leere ausbreitet.
    Er hatte uns eine Tür zu seinem Innern geöffnet, und was ich dort sah, war gleichermaßen erbarmenswert und erschreckend.
    Seine Worte verrieten mehr, als ihm wahrscheinlich klar war. Sie hatten mir gezeigt, dass er auch nach der tiefen Selbstanalyse, zu der er fähig war, immer noch nicht das Wichtigste über sich selbst begriff und daher eine Lüge lebte. Er stellte sich vor mir – und vor sich selbst – als jemand dar, der seine eigene Wirklichkeit anzweifelte und daher die Bedeutung seiner Existenz. In Wahrheit war es jedoch die Existenz der Welt, die er anzweifelte, und das Einzige, was er für wirklich hielt, war er selbst.
    Das nennt man Solipsismus. Ja, selbst ein einfacher Konditor wie ich hat davon gehört, von der Vorstellung, dass nichts nachweislich existiert außer dem eigenen Selbst, was dazu führt, dass man sich auf extreme Weise nur noch mit den eigenen Gefühlen und Begierden beschäftigt und sich ihnen hingibt. Punchinello würde nie in der Lage sein, sich als Faden in einem gewaltigen
Gewebe zu sehen. Er war das Universum, und wir anderen existierten allesamt nur in seiner Fantasie. Er konnte uns nach Belieben umbringen oder auch nicht, ohne dass dies echte Folgen für uns oder für ihn hatte.
    Diese Denkweise hatte nicht als Wahnsinn begonnen, obwohl sie letztendlich ununterscheidbar davon sein mochte. Schließlich war es eine Philosophie, die man selbst in den besten Universitäten für diskutabel hielt. Punchinello hatte sich bewusst dafür entschieden, was ihn gefährlicher machte, als wenn er nur ein armer, verlorener Kerl gewesen wäre, den die Umstände in den Wahnsinn getrieben hatten.
    Mehr denn je jagte er mir einen ungeheuren Schrecken ein. Wir waren gekommen, weil wir hofften, sein Herz zu rühren. Das mussten wir sogar, doch wir konnten nicht erwarten, mehr zu ihm durchzudringen als ein Phantom, das uns im Traum murmelnd anfleht, ein Opfer zu bringen.
    Dies war der vierte meiner fünf schrecklichen Tage, und ich wusste nun, weshalb es der bisher schlimmste sein würde. Bestimmt schlug Punchinello uns unsere Bitte ab, und dann waren wir dazu verdammt, einen unerträglichen Verlust zu erleiden.
    »Nun, weshalb seid ihr hier?«, fragte er wieder.
    Nicht zum ersten Mal, wenn mir die Worte fehlten, wusste Lorrie das Richtige zu sagen. Sie ging auf die elementare Lüge ein, mit der er sich eingeredet hatte, er sei ein Opfer und kein Ungeheuer.
    »Wir sind gekommen«, sagte sie, »um dir zu sagen, dass du wirklich da bist, und dass es eine Möglichkeit gibt, dir das ein für alle Mal zu beweisen.«
    »Und die wäre?«
    »Wir wollen, dass du unserer Tochter das Leben rettest. Du bist der Einzige, der das kann, und das ist so wirklich, wie man es überhaupt erwarten kann.«

59
    Aus ihrer Handtasche zog Lorrie ein Foto von Annie und schob es Punchinello über den Tisch hinweg zu. »Hübsch«, sagte er, ohne das Bild anzufassen.
    »In knapp zwei Monaten wird sie sechs Jahre alt«, sagte Lorrie. »Falls sie so lange lebt.«
    »Ich werde nie Kinder haben«, erinnerte er uns.
    Ich schwieg. Schließlich hatte ich mich schon einmal dafür entschuldigt, ihn kastriert zu haben, obwohl das nicht ganz stimmte. Ein Chirurg hatte erledigt, was ich nicht ganz geschafft hatte.
    »Sie hat ein Nephroblastom«, sagte Lorrie.
    »Klingt wie der Name einer Grunge-Band«, kommentierte Punchinello und grinste über seinen lahmen Scherz.
    »Das ist eine Art Nierenkrebs«, erklärte ich. »Die Geschwüre wachsen sehr rasch. Wenn man sie nicht frühzeitig beseitigt, breitet sich die Krankheit in Lunge, Leber und Gehirn aus.«
    »Gott sei Dank hat man die Diagnose rechtzeitig gestellt«, sagte Lorrie. »Man hat beide Nieren entfernt, und dann kamen Bestrahlungen und Chemotherapie. Jetzt ist sie frei von Krebs.«
    »Gut für sie«, sagte Punchinello. »Jeder sollte frei von Krebs sein.«
    »Aber es gibt eine Komplikation.«
    »Das ist aber nicht so interessant wie die Geschichte mit den vertauschten Babys«, meinte Punchinello.
    Ich traute mich nicht zu sprechen. Ich hatte das Gefühl, Annies Leben hinge an einem Faden, der so fein war, dass ich

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