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Trauma

Trauma

Titel: Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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gestorben wäre.
    Er hat sich nämlich nicht nur über die geheimnisvollen Methoden Gottes ausgelassen, sondern auch geschrieben: Hinter der finster blickenden Vorsehung verbirgt Gott ein lächelndes Gesicht.
    Das hatte ich auch immer geglaubt. Aber ich muss gestehen, damals gab es Augenblicke, in denen ich mich fragte, ob dieses Lächeln womöglich so schief war wie das, mit dem Punchinello uns angeschaut hatte.
    Nun schlug mein mörderischer Bruder vor: »Lasst die Kleine doch auf die Transplantationsliste setzen, wie jedermann das tut.«
    »Es könnte ein Jahr, vielleicht auch länger dauern, bis sich ein passender Spender findet«, sagte Lorrie. »Lucy und Andy sind noch zu jung dafür.«
    »Ein Jahr ist doch nicht lang. Meine Syndaktylie hat man erst operiert, als ich acht war. Habt ihr mir da geholfen?«

    »Du hörst mir überhaupt nicht zu«, sagte Lorrie schroff. »In der Zwischenzeit müsste Annie zur Dialyse, aber das geht nicht. Das habe ich doch schon erklärt.«
    »Womöglich bin ich kein geeigneter Spender.«
    »Das ist sehr unwahrscheinlich«, sagte ich.
    »Das wird wieder so laufen wie die Sache mit dem Kopf im Eimer«, lamentierte er. »So läuft es schließlich immer.«
    »Du bist ihr Onkel«, sagte Lorrie. Offenbar versuchte sie damit, eine emotionale Verbindung zwischen ihm und Annie zu erzwingen.
    »Und du bist mein Bruder«, sagte Punchinello zu mir. »Aber wo warst du die letzten neun Jahre, als das Justizsystem mich gekreuzigt hat? Wie Pontius Pilatus hast du die Hände in Unschuld gewaschen!«
    Die Irrationalität seiner Anschuldigung und der Größenwahn, der sich durch den Vergleich mit Christus äußerte, verboten jede Antwort.
    »Übrigens, bei der Sache mit den Schwarzen ist noch was total unlogisch«, sagte er. »Das Sperma eines Schwarzen müsste schwarz sein, wenn das eines Weißen weiß ist. Aber es ist ebenfalls weiß. Glaubt mir, ich hab genügend Pornos gesehen.«
    Es gibt Tage, an denen es mir so vorkommt, als fände sich die überzeugendste literarische Darstellung der Welt, in der wir leben, in dem absurden Königreich, durch das Lewis Carroll seine Alice geschickt hat.
    Lorrie versuchte es von neuem. »Früher oder später wird Annie durch einen anaphylaktischen Schock sterben. Wir können keine Dialyse mehr riskieren. Das heißt, wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Sie hat jetzt nur noch …«
    Ihre Stimme versagte.
    Ich vollendete den Satz. »Annie hat jetzt nur noch ein paar Tage zu leben.«

    Als ich das in Worte fasste, spürte ich, wie das Grauen mir so das Herz einschnürte, dass ich einen Augenblick keine Luft bekam.
    »Da kommt es also wieder mal auf den guten, alten Punchinello an«, sagte mein Bruder. »Der größte Clown aller Zeiten wird Punchinello Beezo heißen! Bloß dass dem nicht so war. Na, dann wird Punchinello Beezo eben der größte Trapezkünstler seiner Zeit! Bloß dass man mir das nicht erlaubt hat. Niemand wird den Tod seiner Mutter je so rächen, wie Punchinello es getan hat! Bloß dass ich das ganze Geld nicht in Sicherheit gebracht habe und man mir meine Hoden abgeschnitten hat. Und jetzt wieder! Von allen Menschen auf der Welt kann nur Punchinello die kleine Annie Tock retten – die übrigens eigentlich Annie Beezo heißen sollte –, nur Punchinello! Aber am Ende wird sie trotzdem sterben, weil das wie immer bloß ein Trick ist, um mir den Teppich unter den Füßen wegzuziehen.«
    Seine Ansprache hatte eine verheerende Wirkung auf Lorrie. Sie stand auf, wandte sich von ihm ab und blieb unkontrollierbar zitternd stehen.
    Ich konnte nur noch sagen: »Bitte.«
    »Verschwindet«, sagte Punchinello zu mir. »Fahrt nach Hause. Wenn das kleine Aas stirbt, könnt ihr es auf dem Baptistenfriedhof neben dem namenlosen Baby begraben, dessen Leben du gestohlen hast.«

60
    Als wir aus dem Besprechungsraum auf den Flur traten, begriff Charlene Coleman die schreckliche Wahrheit, sobald sie unsere Gesichter sah. Sie breitete die Arme aus, Lorrie sank hinein und hielt sich weinend an ihr fest.
    Schlagartig ging mir noch einmal alles durch den Kopf, was in der vergangenen halben Stunde geschehen war. Wenn ich nur die Zeit zurückdrehen könnte, dachte ich, um diesmal noch raffinierter mit Punchinello umzugehen.
    Natürlich war mir klar, dass ein weiterer Versuch nicht mehr bewirkt hätte als der, welcher gerade zu Ende gegangen war. Auch zehn oder hundert Gespräche hätten das nicht geschafft. Mit Punchinello zu reden war wie ein Ruf in den Wind, wie ein

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