Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trauma

Trauma

Titel: Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
Vom Netzwerk:
Mutter es getan hatte. Das spürte ich ganz deutlich. So aber starrte er sie nur wie versteinert an. In seiner Miene lag unendliches Leid, in seinen Augen erstickte Hoffnung, und an der Oberfläche schwebte eine kindliche Sehnsucht.
    »Als Ihre Mutter gestorben ist«, sagte Charlene, »da hat sie gesunden Zwillingen das Leben geschenkt. Sie waren der kleinere, Jimmy der größere.«
    Ich betrachtete Punchinello, wie er Charlene betrachtete, und dachte darüber nach, wie anders mein Leben verlaufen wäre, wenn sie ihn in die Arme genommen hätte, um ihn zu retten, und nicht mich.
    Die Vorstellung, sein Leben führen zu müssen, hätte es mir eigentlich leichter machen sollen, ihn als Bruder zu sehen, aber mein Herz weigerte sich. Er blieb ein Fremder für mich.
    »Maddy Tock«, sagte Charlene zu Punchinello, »hatte auch schwierige Wehen, aber bei ihr war es genau andersherum wie bei Ihrer Mutter. Maddy hat überlebt, und ihr Baby ist gestorben. Ihre letzte Kontraktion war sehr schmerzhaft, weshalb sie in Ohnmacht fiel und deshalb nicht gemerkt hat, dass ihr Kind tot geboren wurde. Ich habe das arme kleine Ding in die Säuglingsstation getragen und dort in ein Körbchen gelegt, damit sie es nicht sah, wenn sie wieder zu Bewusstsein kam … und es überhaupt nicht sehen musste, wenn sie nicht wollte.«
    Als ich an dieses tot geborene Kind dachte, betrauerte ich es merkwürdigerweise wie einen verlorenen Bruder, auf eine Weise, wie ich nie um Punchinello trauern würde.
    »Danach«, spann Lorrie den Faden fort, »ging Dr. MacDonald ins Wartezimmer, um Konrad Beezo zu trösten, weil der die Frau verloren hatte, und Rudy Tock, weil der sein Kind verloren hatte.«
    »In dieser Nacht waren wir knapp an Personal«, sagte Charlene. »Ein übler Virus machte die Runde, und allerhand Leute waren
krankgeschrieben. Außer mir war Lois Hanson die einzige Geburtshelferin, die zum Dienst kommen konnte. Als wir hörten, wie Konrad Beezo den Arzt anbrüllte, so bitter, anklagend und unflätig, da dachten wir beide an die Zwillinge, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Lois meinte, der Anblick seiner beiden Babys würde Beezo besänftigen, aber ich hatte eine Ehe mit einem ganz brutalen Kerl hinter mir und wusste, dass in dieser Stimme dieselbe Gewalt mitschwang. Es war ein Zorn, den keine Güte lindern konnte, der sich durch irgendetwas Schlimmes selbst verzehren musste. Mein einziger Gedanke war, mein Baby in Sicherheit zu bringen. Lois ist mit ihrem durch den Flur zum Wartezimmer gegangen und erschossen worden, aber ich bin mit Jimmy in die andere Richtung geflüchtet und hab mich versteckt. «
    Ich hatte mir Sorgen gemacht, Punchinello könnte trotz der Tatsache, dass wir beide mit Syndaktylie geboren worden waren, skeptisch auf Charlenes Geschichte reagieren, wenn er sie nicht sogar rundweg ablehnte. Stattdessen schien er sie nicht nur zu glauben, sondern geradezu fasziniert davon zu sein.
    Vielleicht erwärmte er sich für die romantische Vorstellung, viel mit der betrogenen Titelfigur von Alexandre Dumas’ Roman Der Mann mit der eisernen Maske gemein zu haben. So etwa in der Richtung, dass er ein heroischer Landmann war, während ich, sein Zwilling, den Thron Frankreichs bestiegen hatte.
    »Als ich sah, dass unser Dr. MacDonald, dieser liebe Mensch, ermordet worden war, genauso wie Lois Hanson«, fuhr Charlene fort, »da wurde mir klar, dass ich der einzige Mensch auf Erden war, der wusste, dass Maddys Baby tot geboren war und dass Nathalie Beezo Zwillinge zur Welt gebracht hatte. Wenn ich nichts unternahm, dann mussten Maddy und Rudy mit einer unglaublichen Tragödie fertig werden, und das Baby, das ich gerettet hatte, würde den Behörden ausgeliefert sein, die es wahrscheinlich
ins Waisenhaus oder zu Pflegeeltern schickten. Vielleicht wurde es sogar den Verwandten von Konrad Beezo überlassen, die genauso wahnsinnig waren wie er selbst, und das ganze Leben lang würden die Leute auf den Kleinen zeigen und sagen: Das ist der Sohn eines Mörders. Ich wusste, was für gute, ehrliche Leute Rudy und Maddy waren und wie viel Liebe sie ihrem Kind geben würden, also hab ich getan, was ich getan hab, und unser Herr Jesus möge mir vergeben, wenn er meint, ich hätte Gott gespielt.«
    Punchinello schloss die Augen und ließ Charlenes Erzählung etwa eine halbe Minute lang auf sich wirken, dann machte er die Augen wieder auf und sah mich an. »Was ist eigentlich aus dem echten Jimmy geworden?«
    Ich begriff nicht sofort, was er

Weitere Kostenlose Bücher