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Trauma

Trauma

Titel: Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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hörte. Das willkommene Jaulen lockte sie ans Fenster, durch das man den Parkplatz vor dem Krankenhaus sehen konnte. Sie hoffte, einen Polizeiwagen zu sehen.
    Stattdessen sah sie von ihrer Warte im ersten Stock aus, wie Beezo mit seinem Baby über den regennassen Asphalt marschierte. Er sah, behauptet sie, wie eine der seltsamen Gestalten aus, die durch schlimme Träume huschen, wie etwas, das man in der Nacht sehen mochte, in der die Welt endete und die Erde sich auftat, um die wütenden Legionen der Verdammten freizulassen.
    Charlene kommt aus Mississippi und ist eine Baptistin, deren Seele von der Poesie des Südens erfüllt ist.
    Beezo hatte seinen Wagen so weit weg abgestellt, dass angesichts der Regenschleier und des trüben gelben Scheins der Natriumdampflampen nicht erkennbar war, was für eine Marke er fuhr, geschweige denn, welches Modell in welcher Farbe. Charlene sah ihn davonfahren und hoffte, die Polizei werde ihn abfangen, bevor er die nahe Landstraße erreichte, doch seine Rücklichter verschwanden unbehelligt in der feuchten Finsternis.
    Da die Bedrohung nun fort war, kehrte Charlene gerade in dem Augenblick ins Entbindungszimmer zurück, als die Gedanken meines Vaters hektisch von der Tragödie um Lindberghs Baby zu Rumpelstilzchen und dem von Affen aufgezogenen Tarzan sprangen. So konnte sie ihm rechtzeitig mitteilen, dass ich doch nicht von einem mörderischen Clown gekidnappt worden war.
    Später stellte mein Vater dann fest, dass die Minute meiner Geburt, meine Körperlänge und mein Gewicht exakt den Prophezeiungen entsprachen, die mein Großvater auf dem Totenbett
gemacht hatte. Der erste Beweis dafür, dass die Geschehnisse in der Intensivstation nicht nur außergewöhnlich, sondern übernatürlich gewesen waren, stellte sich jedoch schon früher ein. Als meine Mutter mich in den Armen hielt, schlug Dad das Wickeltuch zurück, entblößte dabei meine Füße und sah, dass meine Zehen zusammengewachsen waren, genau wie Josef es vorhergesagt hatte.
    »Syndaktylie«, hauchte mein Vater.
    »Das kann man operieren«, beruhigte ihn Charlene. Dann machte sie vor Staunen große Augen. »Woher kennen Sie denn einen solchen Fachbegriff?«
    Mein Vater wiederholte nur: »Syndaktylie«, während er behutsam, liebevoll und voll Verwunderung meine zusammengewachsenen Zehen betastete.

4
    Syndaktylie ist nicht nur die Bezeichnung für die Missbildung, mit der ich geboren wurde, sondern auch seit nun schon dreißig Jahren das Motto meines Lebens. Oft stellt sich nämlich heraus, dass die Dinge auf unvorhergesehene Weise miteinander verwachsen sind. Zum Beispiel verknüpfen sich manchmal unerwartet durch viele Jahre getrennte Augenblicke, als würde das Raum-Zeit-Kontinuum irgendwie zusammengefaltet – von einer Kraft, die entweder einen merkwürdigen Sinn für Humor hat oder einen möglicherweise sinnvollen Zweck verfolgt, der jedoch so komplex ist, dass man ihn nicht begreift. Ein anderes Beispiel sind einander völlig unbekannte Menschen, die mit einem Mal feststellen, dass sie vom Schicksal so fest miteinander verbunden sind wie zwei Zehen, die von derselben Haut umhüllt werden.
    Chirurgen haben mein Zehenproblem schon vor so langer Zeit behoben, dass ich keinerlei Erinnerung mehr an die Operationen habe. Ich kann gehen, ich laufe, wenn es sein muss, und ich kann tanzen, wenn auch nicht besonders gut.
    Bei allem Respekt vor dem Gedenken an Dr. Ferris MacDonald muss ich doch feststellen, dass ich mich nie zu einem großen Footballspieler entwickelt habe und auch gar keine Lust dazu hatte. In meiner Familie hat sich noch nie jemand für Sport interessiert.
    Stattdessen sind wir große Liebhaber von Windbeuteln, Eclairs, Törtchen, Torten, Kuchen und Biskuits, aber auch von dem berüchtigten Brokkoli-Käse-Auflauf, den Sandwiches mit Käse,
Wurst und Sauerkraut und all den anderen kalorienreichen Köstlichkeiten, die meine Mutter zubereitet. Mit Freuden tauschen wir Spannung und Ruhm aller Spiele und Turniere, die die Menschheit je erfunden hat, gegen ein gemeinsames Abendessen ein und gegen die vergnügte Unterhaltung, die uns vom Entfalten der Servietten bis zum letzten Schluck Kaffee begleitet wie ein rasch dahinfließender Strom.
    Im Lauf der Jahre bin ich von einundfünfzig Zentimetern bis auf einen Meter dreiundachtzig gewachsen. Mein Gewicht hat sich von dreitausendneunhundertzwanzig Gramm auf fünfundachtzig Kilogramm erhöht, was meine Behauptung stützen sollte, dass ich bestenfalls stämmig bin

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