Trauma
und keineswegs so massig, wie ich den meisten Leuten vorkomme.
Auch die fünfte der zehn Prophezeiungen meines Großvaters – dass jedermann mich Jimmy nennen würde – hat sich bewahrheitet.
Schon beim ersten Kennenlernen scheinen die Leute zu meinen, dass James zu förmlich ist, um zu mir zu passen, und dass auch Jim zu ernsthaft oder sonst wie unangemessen klingt. Selbst wenn ich mich mit Nachdruck als James vorstelle, fangen sie sofort an, mich mit Jimmy anzureden, mit völliger Vertraulichkeit, als würden sie mich kennen, seit mein Gesicht nachgeburtlich rosa und meine Zehen noch zusammengewachsen waren.
Heute, da ich diese Tonbandaufnahmen in der Hoffnung mache, dass ich überlebe, um sie abzuschreiben und bearbeiten zu können, habe ich vier der fünf schrecklichen Tage überstanden, vor denen mein Opa meinen Vater gewarnt hat. Schrecklich waren sie sowohl auf dieselbe wie auch auf unterschiedliche Weise. Jeder Tag war erfüllt von Unerwartetem und von Entsetzen, zum Teil auch von Tragik, doch es waren Tage, die darüber hinaus von vielem anderen erfüllt waren. Von vielem, vielem anderen.
Und nun … steht mir noch einer bevor.
Mein Vater, meine Mutter und ich verbrachten zwanzig Jahre damit, so zu tun, als würde die Genauigkeit von Opas ersten fünf Prophezeiungen nicht unbedingt bedeuten, dass sich auch die nächsten fünf bewahrheiteten. Meine Kindheit und Jugend vergingen ereignislos und wiesen in keiner Weise darauf hin, dass mein Leben wie ein Jo-Jo am Faden des Schicksals hing.
Als der erste dieser fünf Tage – Donnerstag, der 15. September 1994 – unerbittlich nahte, machten wir uns trotzdem Sorgen.
Der Kaffeekonsum meiner Mutter stieg von täglich elf Tassen auf zwanzig.
Sie hat ein merkwürdiges Verhältnis zu Koffein. Statt ihre Nerven zu zerrütten, wirkt das Zeug beruhigend auf sie.
Wenn sie es versäumt, morgens ihre üblichen drei Tassen zu trinken, ist sie mittags so zappelig wie eine frustrierte Fliege, die ständig an die Fensterscheibe prallt. Hat sie bis zum Schlafengehen nicht weitere acht Tassen gekippt, dann liegt sie so hellwach da, dass sie nicht nur tausende von Schafen zählt, sondern ihnen auch Namen gibt und sich für jedes eine ausführliche Lebensgeschichte ausdenkt.
Dad ist der Meinung, der chaotische Stoffwechsel seiner Frau sei eine direkte Folge der Tatsache, dass ihr Vater Fernfahrer war und Koffeintabletten lutschte wie Bonbons.
Mag sein, erwidert meine Mutter dann gelegentlich, aber worüber beschwerst du dich eigentlich? Als wir noch frisch verliebt waren, brauchtest du mir bloß fünf oder sechs billige Tassen Kaffee zu spendieren, und schon war ich so fügsam wie ein Gummiband.
Als der 15. September 1994 also unweigerlich heranrückte, äußerte sich die Besorgnis meines Vaters in Form von heruntergefallenen Kuchen, klumpiger Eiercreme, gummiartigen Tortenkrusten und Crème brulée, die eine sandige Konsistenz hatte. Er konnte sich weder auf seine Rezepte noch auf seine Backöfen konzentrieren.
Ich glaube, dass ich mit meiner Nervosität einigermaßen gut
fertig wurde. In den letzten zwei Tagen vor dem ersten der fünf unheilvollen Daten bin ich möglicherweise an mehr geschlossene Türen geprallt und öfter beim Treppensteigen gestolpert, als ich es sonst tue. Außerdem gebe ich zu, dass ich meiner Großmutter einen Hammer auf den Fuß fallen ließ, als ich versuchte, ein Bild für sie aufzuhängen. Aber es war ihr Fuß, nicht ihr Kopf, und beim einzigen Mal, als ich nicht nur stolperte, sondern richtig hinfiel, purzelte ich nur eine relativ kurze Treppe hinunter und brach mir keinen einzigen Knochen.
Unsere Sorgen wurden ein klein wenig durch die Tatsache gelindert, dass Opa seinem Sohn fünf »schreckliche Tage« in meinem Leben genannt hatte, nicht nur einen. Egal, wie übel der fünfzehnte September werden mochte, sterben würde ich an diesem Tag offenbar nicht.
»Na schön, aber du kannst trotzdem einen Arm oder ein Bein verlieren oder sonst wie verstümmelt werden«, meinte Oma warnend. »Von Lähmungen und Gehirnschäden ganz zu schweigen.«
Sie ist eine liebe Frau, meine Großmutter mütterlicherseits, aber sie besitzt einen allzu scharfen Sinn für die Zerbrechlichkeit des Lebens.
Als Kind hat es mir vor den Abenden gegraut, an denen sie darauf bestand, mir vor dem Einschlafen etwas vorzulesen. Selbst wenn sie die klassischen Märchen nicht veränderte, was sie oft genug tat, selbst wenn also der große böse Wolf am Ende seinen
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