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Trauma

Trauma

Titel: Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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meist sehr geschmacklos gekleidet. Sie vermieten stündlich an Einzelpersonen, ohne irgendwelche Fragen zu stellen.«
    Dad, Mom und ich sahen uns verblüfft an, aber Oma wusste Bescheid: »Für erotische Zwecke.«
    Dad sagte: »Igitt«, Mom sagte: »Schaurig«, und ich sagte: »Oma, manchmal machst du mir Angst.«
    Eines wollte Lorrie klarstellen: »Meine Mutter vermietet nie an Einzelpersonen.«
    »Als ich klein war«, sagte Weena, »wurde Ned Yarnel, der Nachbarsjunge, von einer Klapperschlange gebissen.«
    »War die wild oder gemietet?«, erkundigte sich Dad.
    »Wild. Gestorben ist der kleine Ned zwar nicht, aber er hat Wundbrand bekommen. Man musste amputieren – erst einen Daumen und einen Finger, dann alles bis zum Handgelenk.«

    »Meine Güte, Jimmy«, sagte Mom, »ich bin so froh, dass man dir nicht das Bein abnehmen musste.«
    »Ich auch.«
    Dad hob sein Weinglas. »Trinken wir darauf, dass Jimmy nicht amputiert wurde!«
    Nach dem Anstoßen sagte Weena: »Später, als er groß war, wurde der kleine Ned der einzige einhändige Bogenschütze, der je an den Olympischen Spielen teilgenommen hat.«
    »Das ist doch nicht möglich«, meinte Lorrie erstaunt.
    »Junge Dame«, sagte Weena, »wenn Sie meinen, es gibt eine Menge einhändige Bogenschützen, die bei der Olympiade waren, dann wissen Sie aber nicht viel über diesen Sport.«
    »Gold hat er aber nicht gewonnen«, relativierte Dad.
    »Die Silbermedaille«, gab Oma zu. »Aber er hätte Gold gewonnen, wenn er zwei Augen gehabt hätte.«
    Lorrie legte die Gabel weg, um ihr neuerliches Erstaunen zu unterstreichen: »Er war einäugig?«
    »Nein«, sagte meine Mutter, »er hatte zwei Augen. Allerdings konnte er nur mit einem sehen.«
    »Braucht man denn keine Tiefenwahrnehmung, wenn man so was wie Bogenschießen machen will?«, fragte Lorrie zweifelnd.
    Oma war sichtlich stolz auf ihren Kindheitsfreund. »Der kleine Ned hatte was Besseres als Tiefenwahrnehmung. Er hatte Mumm. Den konnte nichts aufhalten, den kleinen Ned.«
    Lorrie griff wieder nach ihrer Gabel, um das letzte Stückchen Krabbe vom Teller zu picken. »Es würde mich nicht wundern, wenn der kleine Ned auch noch ein Zwerg gewesen wäre«, sagte sie.
    »Welch merkwürdige und doch irgendwie reizende Idee«, meinte meine Mutter.
    »Wenn du mich fragst, ist sie bloß merkwürdig«, widersprach Oma. »Mit elf Jahren war der kleine Ned schon eins achtzig groß
und am Ende dann eins dreiundneunzig – ein großer Brocken wie unser Jimmy.«
    Egal, was meine Großmutter meinen mag – ich bin wesentlich kleiner als der kleine Ned. Wahrscheinlich wiege ich auch ein ganzes Stück weniger als er – außer wenn man nur das Gewicht der Hände vergleichen würde, denn da wäre ich ihm deutlich überlegen.
    Vergleiche ich meine beiden Beine, so wiegt das linke mehr als das rechte. Das liegt an den beiden Stahlplatten und den zahlreichen Schrauben, die den Oberschenkelknochen zusammenhalten, und an der zusätzlichen Stahlplatte im Schienbein. Außerdem war allerhand Gefäßchirurgie vonnöten, aber dadurch habe ich kein Gramm zugelegt.
    Als wir damals, Anfang November 1994, beim Abendessen saßen, hatte man die Wunddrainagen schon entfernt, weshalb ich besser roch als vorher, aber ich trug noch immer einen Kunststoffgips. Ich saß am Tischende und hatte das steife Bein seitlich ausgestreckt, als hätte ich vor, Oma zu Fall zu bringen.
    Weena schluckte das letzte Stück Krabbe runter, schmatzte mal wieder so genüsslich mit den Lippen, wie sie es für Leute ihres Alters angebracht fand, und sagte: »Sie haben erzählt, Ihre Mutter hätte mit ihren Schlangen drei Einkommensquellen aufgetan. «
    Lorrie tupfte sich mit ihrer Serviette die wunderbar vollen Lippen ab. »Ja, außerdem melkt sie Klapperschlangen.«
    Entsetzt fragte mein Dad: »In welchen grässlichen Supermärkten wird denn so ein Zeug verkauft?«
    »Es gab mal eine süße kleine Milchschlange, die eine Weile bei uns gewohnt hat«, erzählte Mom. »Sie hieß Earl, aber ich habe immer gedacht, der Name Bernard würde besser passen.«
    »Ich wäre für Ralph gewesen«, meinte Oma.
    »Earl war ein Männchen«, sagte Mom, »zumindest haben wir
das angenommen. Wenn er ein Weibchen gewesen wäre, hätten wir ihn dann melken sollen? Ich denke da an Kühe – wenn man die nicht melkt, haben sie furchtbare Schmerzen, nicht wahr?«
    Der Abend hatte prächtig begonnen. Ich brauchte kaum etwas zur Unterhaltung beitragen.
    Ich sah zu Dad hinüber, der mich angrinste.

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