Trauma
ausgestatteten Krankenhaus zur Verfügung stehen, wurden Wiederbelebungsversuche unternommen, aber zwecklos. Josef war ins Jenseits weitergezogen und kam nicht mehr zurück.
Dafür kam ich, James Henry Tock, auf die Welt. Die Zeit auf dem Totenschein meines Großvaters entspricht der auf meiner Geburtsurkunde: 22.46 Uhr.
Verständlicherweise blieb Rudy an Josefs Bett stehen. Er hatte seine Frau zwar nicht vergessen, doch der Gram lähmte ihm die Glieder.
Fünf Minuten später teilte ihm eine Schwester mit, dass Maddys Wehen ein kritisches Stadium erreicht hätten, weshalb er sofort zu ihr eilen müsse.
Bestürzt von der Aussicht, in derselben Stunde Vater und Frau zu verlieren, floh Dad aus der Intensivstation.
So wie er die Geschichte erzählt, waren die Flure unseres bescheidenen Landkrankenhauses zu einem weiß getünchten Labyrinth geworden. Mindestens zweimal bog er falsch ab. Zu ungeduldig, um auf den Aufzug zu warten, rannte er über die
Treppe vom zweiten Stock ins Erdgeschoss hinunter, wo ihm einfiel, dass die Geburtshilfeabteilung sich im ersten Stock befand.
Genau in dem Moment, als Dad im Wartezimmer eintraf, krachte dort ein Pistolenschuss. Konrad Beezo hatte den behandelnden Arzt seiner Frau erschossen.
Am Anfang dachte Dad, Beezo hätte eine Clownpistole verwendet, eine Spielzeugwaffe, aus der rote Tinte spritzte. Allerdings stürzte der Arzt nicht mit komischem Überschwang zu Boden, sondern mit grässlicher Endgültigkeit, und auch der Geruch von Blut, der sich verbreitete, war nur allzu realistisch.
Beezo drehte sich zu Dad um und hob die Pistole.
Trotz des zerbeulten Filzhuts, der kurzärmeligen Jacke und des bunten Flickens auf dem Hosenboden, trotz der weißen Schminke und der rot bemalten Wangen war in diesem Augenblick nichts an Konrad Beezo clownesk. Seine Augen waren die einer Dschungelkatze, und man konnte sich leicht vorstellen, dass es sich bei seinen gefletschten Zähnen um die Fänge eines Tigers handelte. Dämonisch stand er da, ein Musterbild mörderischen Wahnsinns.
Dad meinte schon, auch er werde nun erschossen, doch Beezo sagte: »Aus dem Weg, Rudy Tock. Mit dir hab ich nichts zu schaffen. Du bist kein Trapezkünstler.«
Beezo stieß mit der Schulter die Tür zur Entbindungsstation auf, marschierte hindurch und schlug sie hinter sich wieder zu.
Dad kniete sich neben den Arzt und stellte fest, dass diesem noch ein letzter Lebenshauch geblieben war. Der Verwundete versuchte zu sprechen, doch es gelang ihm nicht. Offenbar war ihm Blut in den Hals gelaufen, denn er würgte.
Behutsam hob Dad den Kopf des Arztes an und schob ein paar alte Zeitschriften darunter, um ihm das Atmen zu erleichtern. Dann rief er um Hilfe, während das wieder auffrischende
Gewitter die Nacht mit apokalyptischen Donnerschlägen erschütterte.
Der Arzt hieß Ferris MacDonald und war Maddys Gynäkologe. Man hatte ihn hinzugezogen, um sich zusätzlich um Natalie Beezo zu kümmern, als diese unerwartet mitten in den Wehen ins Krankenhaus gebracht worden war.
Obwohl Dr. MacDonald tödlich verwundet war, sah er eher verdutzt als verängstigt aus. Nachdem es ihm gelungen war, sich zu räuspern und wieder zu atmen, erklärte er meinem Vater: »Sie ist bei der Geburt gestorben, aber mein Fehler war das nicht.«
Einen grauenhaften Augenblick lang dachte mein Dad, Maddy sei gestorben.
Das merkte Dr. MacDonald, denn seine letzten Worte lauteten: »Nicht Maddy. Die Frau des Clowns. Maddy … ist am Leben. Es tut mir so leid, Rudy.«
Ferris MacDonald starb mit der Hand meines Vaters auf seinem Herzen.
Während der Donner auf einen fernen Horizont zurollte, hörte Dad hinter der Tür, durch die Konrad Beezo verschwunden war, einen weiteren Schuss.
Irgendwo hinter dieser Tür lag Maddy, seine Frau, die nach ihren schweren Wehen völlig hilflos war. Auch ich war dort drin, ein Säugling, noch nicht fähig, sich zu wehren.
Mein Vater, damals noch Bäcker, war nie ein Mann der Tat gewesen; das wurde er auch dann nicht, als er einige Jahre später zum Status des Konditormeisters aufstieg. Er ist durchschnittlich groß und schwer, körperlich zwar nicht gerade schwach, aber auch nicht für den Boxring geboren. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er ein angenehmes Leben geführt, ohne irgendeine schlimme Not, ohne jeden Streit.
Die Angst um seine Frau und sein Kind versetzte ihn dennoch
in eine seltsame, kalte Panik, die sich eher durch Berechnung als durch Hysterie auszeichnete. Ohne Waffe und Plan, aber
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