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Trauma

Trauma

Titel: Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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beruhigte ihn Rudy. »Dreiundzwanzigster Dezember zwotausendzwo, wieder ein Montag.«
    »Zweitausenddrei«, sagte Josef eindringlich. »Der sechsundzwanzigste November. Ein Mittwoch. Der Tag vor Thanksgiving.«
    Nachdem Rudy auch dieses vierte Datum auf der Rückseite der Freikarte notiert hatte, hob er den Kopf. Sein Vater hatte gerade eben damit aufgehört, am Bettgeländer zu rütteln, und Rudy sah plötzlich eine andere Gemütsbewegung in Josefs Gesicht, in seinen Augen. Der Zorn und das Grauen waren verschwunden.
    In Josefs Augen stiegen Tränen. »Armer Jimmy, armer Rudy«, sagte er.

    »Dad?«
    »Armer, armer Rudy. Armer Jimmy. Wo ist Rudy?«
    » Ich bin Rudy, Dad. Bin direkt neben dir.«
    Josef blinzelte, einmal, zweimal. Die Tränen versiegten, und ein anderes Gefühl ergriff ihn, das nicht so leicht zu definieren war. Man hätte es Verwunderung nennen können, vielleicht auch ein Staunen der reinen, unverfälschten Art, wie es ein Säugling zeigt, wenn er zum ersten Mal ein bunt schillerndes Zauberding erblickt.
    Nach einem Augenblick erkannte Rudy es als einen Zustand, der tiefer reichte als bloßes Staunen. Es war Ehrfurcht, die vollständige Verneigung des Geistes vor etwas unendlich Großem und Gewaltigem.
    Die Augen seines Vaters leuchteten vor Verblüffung. Auf seinem Gesicht standen Entzücken und Furcht im Widerstreit.
    Josefs immer heiserer werdende Stimme senkte sich zu einem Flüstern: »Zweitausendfünf.«
    Sein Blick blieb auf eine andere Wirklichkeit gerichtet, die er offenbar überzeugender fand als diese Welt, in der er siebenundfünfzig Jahre lang gelebt hatte.
    Mit zitternder Hand, wenn auch noch immer lesbar, notierte Rudy die fünfte Jahreszahl und wartete.
    »Ah«, sagte Josef, als hätte sich ihm ein erschreckendes Geheimnis offenbart.
    »Dad?«
    »Bloß das nicht, bloß das nicht!«, klagte Josef.
    »Dad, was ist denn?«
    Die verunsicherte Schwester wagte sich näher ans Bett heran. Offenbar überstieg ihre Neugier nun die Angst.
    Ein Arzt betrat den kleinen Raum. »Was ist denn hier los?«
    »Trau bloß dem Clown nicht!«, sagte Josef gerade.
    An der leicht gekränkten Miene des Arztes war zu erkennen,
dass er meinte, der Patient habe seine medizinischen Fähigkeiten in Zweifel gezogen.
    Rudy beugte sich übers Bett, um seinen Vater aus dessen visionärem Zustand wieder ins Diesseits zurückzuholen. »Dad, woher weißt du etwas von diesem Clown?«, fragte er.
    »Der sechzehnte April«, sagte Josef. »Woher weißt du von diesem Clown?«
    »Schreib es auf!«, donnerte Josef. Im selben Augenblick rannte der Himmel erneut gegen die Erde an.
    Während der Arzt zur anderen Seite des Betts ging, schrieb Rudy das Datum auf die Rückseite der Freikarte. Als sein Vater den Tag nannte, komplettierte er die fünfte Zeile mit »SAMS-TAG«.
    Der Arzt griff mit der Hand unter Josefs Kinn und drehte ihm den Kopf zur Seite, um ihm besser in die Augen schauen zu können.
    »Er ist nicht der, für den du ihn hältst«, sagte Josef, nicht zum Arzt, sondern zu seinem Sohn.
    »Wer ist nicht wer?«, fragte Rudy.
    »Er.«
    »Wer ist er ?«
    »Also bitte, Mr. Tock«, sagte der Arzt tadelnd, »Sie wissen ganz genau, wer ich bin. Ich bin Dr. Pickett.«
    »Ach, welch Tragödie!«, sagte Josef mit einer Stimme voller Jammer, als wäre er kein Konditor, sondern ein Schauspieler in einem Shakespeare-Drama.
    »Was für eine Tragödie?«, erkundigte sich Rudy bekümmert.
    Dr. Pickett zog ein Ophthalmoskop aus der Tasche seines weißen Kittels. »Hier gibt’s keine Tragödie«, widersprach er. »Was ich da sehe, ist ein bemerkenswerter Fortschritt.«
    Josef entzog sich dem Kinngriff des Arztes. »Nieren!«, sagte er mit zunehmender Erregung.

    »Nieren?«, wiederholte Rudy fassungslos.
    »Verdammt noch mal, warum sind Nieren bloß so wichtig?«, sagte Josef. »Es ist absurd, das Ganze ist total absurd!«
    Bei diesen Worten verließ Rudy endgültig der Mut, denn es hatte den Anschein, als verwandelte sich die kurze geistige Klarheit seines Vaters in unzusammenhängendes Gestammel.
    Dr. Pickett brachte seinen Patienten unter Kontrolle, indem er ihn wieder am Kinn packte; dann schaltete er das Ophthalmoskop ein und richtete das Licht auf Josefs rechtes Auge.
    Josef Tock stieß mit explosiver Kraft die Luft aus, als wäre der feine Lichtstrahl eine Nadel, die sich in sein Leben bohrte wie in einen Luftballon. Er sank auf sein Kissen zurück und war tot.
    Mit sämtlichen Methoden und Instrumenten, die einem gut

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