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Trauma

Trauma

Titel: Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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sah ich am Ufer und mitten im Wasser schemenhafte Felsen, bei denen es sich ohne weiteres um die zusammengesackte Gestalt eines Verwundeten oder um eine Leiche handeln konnte. Man hätte annehmen können, dass ein derart entschlossen vorgehender Killer sich vergewissern wollte, ob sein Opfer tot oder nur verwundet war.
    Womöglich war mein Zeitgefühl verzerrt. Schließlich bringt Todesangst die innere Uhr durcheinander. Jedenfalls hatte ich die Sekunden zwar nicht gezählt, hatte aber trotzdem das Gefühl, schon eine Minute oder gar länger in meinem Versteck zu hocken.
    Ich wurde rasch ungeduldig. Auch wenn ich eventuell kein echter, amtlich geprüfter Mann der Tat war, ein Mann der Trägheit war ich auch nicht.
    Wenn ich mein Versteck zu rasch verließ und nach oben schaute, während der Killer noch dastand, dann bekam ich einen
Schuss mitten ins Gesicht. Ich hatte zwar einen erblich bedingten Dickkopf, aber doch nicht in dem Maße wie Oma Rowena. Es bestand also keinerlei Chance, dass ein Geschoss auf diese Entfernung vor meinem Schädel kapitulierte.
    Wartete ich jedoch zu lange, dann gewann der Killer einen zu großen Vorsprung auf der Suche nach Lorrie. Er hatte gesehen, dass sie nicht bei mir war, und wenn er von ihrer Schwangerschaft wusste, dann rechnete er bestimmt damit, dass sie im Wagen geblieben war.
    Egal, ob es eine echte Vorahnung oder nur ein Bauchgefühl war, ich hatte den Eindruck, dass ich aus der Sicht des Killers nur eine Nebenrolle spielte – die einer lästigen Fliege, die totgeschlagen werden musste –, während Lorrie im Zentrum seines Interesses stand. Wieso das so war, blieb mir verborgen. Ich wusste es einfach.
    Als ich die Beine aus dem knietiefen Kompost zog und den Schutz des Überhangs verließ, erwartete ich fast das Aufblitzen einer Taschenlampe, ein grausames Lachen, einen Schuss.
    Rauschendes Wasser, brausender Wind, Schleier aus Dunkelheit, der einsam wartende Wald …
    An der Felskante über mir stand keine schattenhafte Gestalt. Vorsichtig, um nicht zu stolpern und ins tosende Wasser zu fallen, bewegte ich mich bergabwärts am Ufer entlang und suchte nervös nach einem leichten Weg hinauf, am besten mit dem Aufzug.
    Mein linkes Bein hatte allerhand einstecken müssen. Der implantierte Stahl schien zu pochen. Ich hinkte.
    An einer Stelle ragte felsiges Gestein aus der Böschung, das aussah wie graue Knochen. Ein Gewirr aus freigelegten Baumwurzeln hing daran herab. Selbst mit meinem schmerzenden Bein war das genauso gut wie eine Strickleiter.
    Oben angekommen, duckte ich mich und spähte in den finsteren
Wald. Keine Hirsche, keine Eulen, kein wahnsinniger Killer.
    Mein Instinkt sagte mir, dass ich allein war. Wenn ich mir neue Rezepte ausdachte, lag mein Instinkt normalerweise nicht daneben, weshalb ich beschloss, ihm auch unter diesen Umständen zu vertrauen.
    Obwohl ich gezwungen war zu hinken, konnte ich mich rasch bewegen. Ohne Zögern machte ich mich auf den Weg.
    Ich war schon ein ganzes Stück weit gekommen, als ich das Gefühl hatte, allmählich die Orientierung zu verlieren. Während ich unten am Fluss gewesen war, schienen die Konturen hier oben sich verändert zu haben.
    Die Straße befand sich natürlich über mir, im Osten. Folglich ging es bergabwärts nach Westen. Hinter mir, im Süden, war der Fluss. Unser Wagen wartete westlich der Hawksbill Road, also nördlich von meinem Standort.
    Eigentlich sonnenklar.
    Als ich jedoch um den nächsten Baum ging und zwischen zwei weitere trat, stand ich plötzlich wieder am Fluss und wäre fast von der Böschung gefallen. Obwohl ich über alle vier Windrichtungen Bescheid wusste, war ich im Kreis gegangen – und zwar ziemlich rasch.
    Da ich mein ganzes Leben in einer von Bergen und Wald umgebenen Stadt verbracht hatte, kannte ich genügend Geschichten von erfahrenen Wanderern, die sich selbst bei helllichtem Tag und gutem Wetter verlaufen hatten. Regelmäßig mussten Suchmannschaften losziehen, um die verwirrten und beschämten Naturliebhaber aufzuspüren und zu retten.
    Einige der armen Seelen waren weder verwirrt noch beschämt. Sie waren tot. Ausgetrocknet, verhungert, von Bären oder Pumas angefallen, abgestürzt … Im gruseligen Inventar von Mutter Natur gab es zahllose Hinrichtungsinstrumente.

    Selbst eine nicht allzu große Wildnis konnte sich als heilloses Labyrinth entpuppen. Fast jedes Jahr berichtete die Snow County Gazette auf der Titelseite über einen Wanderer, der tagelang umhergeirrt war, obwohl die

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