Traumfabrik Harvard
darstellt, gibt es ernste Befürchtungen, sie werde das Herzland der amerikanischen
academy
umkrempeln und eine »deep transformation of American higher education« (Calhoun 2006) bewirken – zum Schlechteren, versteht
sich, weil damit die bisher gültigen Spielregeln für wissenschaftliche Forschung und für die Selbstbestimmung der Hochschulen
ausgehebelt würden. Gelegentlich spricht man sogar von einer »zweiten akademischen Revolution«, die die von Jencks und Riesman
1968 beschriebenen Errungenschaften der ersten, das heißt die Verwissenschaftlichung der Hochschulbildung, die Inthronisierung
einer durch Forschungen ausgewiesenen Professorenschaft und wissenschaftsinterne Wertmaßstäbe, rückgängig zu machen drohe.
Leistungen in der Forschung, so vermutet man, würden jetzt nicht mehr allein durch die wissenschaftliche Gemeinschaft beurteilt
und mit Reputation |199| vergolten, sondern auch oder sogar überwiegend im Hinblick auf ihr wirtschaftliches Potenzial und dementsprechend honoriert,
mit nachhaltigen Folgen für das Publikationsverhalten und die Vergütung aller Professoren und Forscher.
Tatsächlich gibt es eine klare Tendenz, wissenschaftliche Erkenntnisse, die bisher stets als öffentliches, frei zugängliches
Gut betrachtet worden sind, unter den rechtlichen Schutz geistigen Eigentums zu bringen und finanziellen Nutzen aus ihnen
zu ziehen – die Beispiele reichen von der Patentierung chirurgischer Techniken über die einzelner Enzyme bis hin zu Software-Anwendungen.
Daher argwöhnen viele Beobachter des Geschehens, Universitäten würden ihr Forschungsportfolio bald nur noch an wirtschaftlich
einträglichen Feldern ausrichten und andere vernachlässigen, weil sie im Wettbewerb um Ressourcen und wissenschaftlichen Einfluss
nicht das Nachsehen haben wollten. Kritisch wird registriert, wie wirtschaftliche Verwertungsinteressen das Publikationsverhalten
von Forschern in pharmakologisch relevanten Gebieten der Lebenswissenschaften bereits verändert haben und in anderen zu verändern
drohen.
Wie steht es nun aber derzeit unbeschadet von solchen strukturellen Befunden und ethischen Problemen um die Vermarktung von
Forschungsergebnissen und geistigem Eigentum an den amerikanischen Hochschulen? Wie verhalten sich die Einnahmen daraus zu
denen aus Forschungsaufträgen der Industrie?
Der Startschuss dafür, dass Universitäten Forschungsarbeiten ihrer Wissenschaftler systematisch im Hinblick auf Verwertungsfähigkeit
überprüfen, professionell vermarkten und im großen Stil in das Technologie-Transferspiel einsteigen, kam mit dem Bayh-Dole
Act. Dieses am 1. Juli 1981 in Kraft getretene Gesetz gilt als Katalysator für die Privatisierung (natur)wissenschaftlicher
Forschung und als Meilenstein zu einer extensiven Auslegung geistiger Eigentumsrechte. Universitäten und Unternehmen sprach
es einen Eigentumstitel an allen Forschungsergebnissen und Erfindungen aus Projekten zu, die mit Bundesmitteln gefördert wurden.
Zuvor hatte sich der Staat das Verwertungsrecht vorbehalten. Durch die Übertragung der »intellectual property control« auf
die Agenten erhoffte man sich einerseits eine bessere praktische Ausbeute und Umsetzung von Forschungsergebnissen, die allzu
oft unentdeckt in Berichten vor sich hin geschlummert hatten. Andererseits wollte man ökonomische Anreize schaffen, damit
Hochschulen ihre Forschungsaktivitäten stärker auf Anwendungskontexte hin ausrichten und enger mit der Industrie zusammenarbeiten |200| . Letztere sollte von den Hochschulen Lizenzen für die Nutzung und wirtschaftliche Verwertung von Forschungsresultaten erwerben
und sie an den Erträgen beteiligen. Darüber hinaus schuf der Bayh-Dole Act einen einheitlichen Regelungsrahmen für alle Patent-
und Lizensierungsverfahren, so dass die Hochschulen ein effektives Instrument für die wirtschaftliche Erschließung aller Forschungsprojekte
an die Hand bekamen, die mit
federal grants
unterstützt werden.
Ob es nun diesen neuen rechtlichen Möglichkeiten zu verdanken ist oder ob es vielleicht ganz unabhängig davon bereits in der
Luft lag: Fest steht, dass die Zahl der Patentanmeldungen amerikanischer Hochschulen und deren Einnahmen aus Patenten und
Lizenzen seit 1981 ständig gestiegen sind – nicht ganz so schnell zwar und längst nicht so hoch, wie es sich manche Protagonisten
dieses neuen Kurses und besonders umtriebige Einrichtungen erhofft und viele Kassandras geunkt
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