Traumfabrik Harvard
Menschen aus den unteren Schichten und Einwanderer begeistert zu. Zugleich verschoben sich
allmählich Aufgaben und Rolle dieser »residualen« Colleges: Als klar wurde, dass sie es nicht in den Status richtiger Colleges
schaffen würden, konzentrierten sie sich auf handfeste berufliche Qualifizierung und allgemeine Weiterbildungsangebote.
Der Gestaltwandel der Community Colleges von einer Einrichtung der allgemeinen zu einer der beruflichen Bildung erfolgte endgültig
zwischen 1960 und 1980. Waren noch 1960 drei Viertel ihrer Studenten in »transfer programs« eingeschrieben (das heißt, sie
planten den Übergang auf eine
4
year institution
), entschied sich 1980 die große Mehrheit für unmittelbar beschäftigungsrelevante Kurse (Brint/Karabel 1991). Aus der Brücke
ins »richtige« College wurde eine in die wirkliche Arbeitswelt – und zugleich eine Sackgasse in der
higher education
. Community Colleges pflegen allerdings immer noch einen breiten Kranz allgemeinbildender Programme und verstehen sich, wenn
überhaupt, dann als eine
höhere
Berufsschule, die sich der Kultur und politisch-bürgerschaftlichen Bildung ebenso verpflichtet weiß wie der Vermittlung handfester
Kenntnisse und Fertigkeiten. Die Spannung zwischen beiden Polen ist überall zu spüren. In den offiziellen Selbstbeschreibungen
der Einrichtungen und im Rollenverständnis ihrer Dozenten halten sich Minderwertigkeitsgefühle und Stolz auf die Verdienste
dieser »people’s or democracy’s colleges« bei der Förderung sozialer Chancengleichheit die Waage. 41
|118| Interessanterweise schlägt diese schwierige Zwitterfunktion auch in der Ordnung öffentlicher Hochschulsysteme durch, wie sie
einige Staaten, dem Vorbild Kaliforniens folgend, in den 1960er Jahren aufzubauen begannen. Der berühmte kalifornische »Master
Plan for Higher Education« von 1960 bedeutete in mehrfacher Hinsicht eine Revolution: Erstens besaß danach
jeder
Bürger des Staates ein Grundrecht auf eine
gebührenfreie
Hochschulausbildung. Zweitens zog er eine klare Aufgaben- und Arbeitsteilung zwischen drei Typen von Hochschulen, denen die
Studenten ihren Fähigkeiten und Leistungen entsprechend zugeordnet werden sollten. Der Oberliga der University of California
mit ihren damals neun Campus sollten die
graduate
education
und das beste Achtel der kalifornischen Highschool-Absolventen vorbehalten bleiben. Deren nächstbestes Drittel sollte an die
damals State College und heute State University genannten Einrichtungen studieren können, der »Regelhochschule« für eine
undergraduate education
. Für die Versorgung der restlichen Schulabgänger sollten die Community Colleges zuständig sein. Als »open door institutions«
(Burton Clark) bildeten sie damit den grauen Boden der dreistöckigen Torte mit bunt bewimpelten
flagships
auf der Spitze.
Die Planungsgrößen für das untere Segment entsprechen heute annähernd dem tatsächlichen Anteil dieses Sektors an den öffentlichen
Hochschulen in den USA. In der Gebührenfrage ist es allerdings längst vorbei mit den kalifornischen Träumen, denn umsonst
ist heute kein Kurs mehr an einem Community College zu bekommen. Wie viel die Studenten bezahlen müssen, hängt von der Art
und Zahl der Veranstaltungen ab, die sie wählen; im Durchschnitt sind es jetzt 1.935 Dollar pro Jahr. Das ist deutlich weniger
als die Hälfte dessen, was ein staatliches
4-year college
kostet (5.351 Dollar), aber für die überwiegend einkommensschwache Klientel dieser Einrichtungen eine Menge Geld. 42 An den 1.075 »Public 2-Year« Colleges der CC, die 61 Prozent aller 1.734 Einrichtungen des öffentlichen Sektors stellten,
waren 2005 mit 6,4 Millionen »for-credit students« knapp die Hälfte von deren Studenten eingeschrieben (NCES 2006: Tab. 175).
Hinzu kamen schätzungsweise fünf Millionen »non-credit«-Studenten, die nur einzelne Kurse, aber kein ganzes Kurspaket belegten
und keinen Abschluss anstrebten. »Open access« impliziert also neben »open doors« auch »open exit« – nämlich in der flächendeckenden
allgemeinen und beruflichen Weiterbildung.
Ein Blick auf die von den Community Colleges verliehenen Abschlüsse (Associate Degrees, AA oder AS) unterstreicht die schwierige
Aufgabe und |119| Gefechtslage dieser Einrichtungen: Sie sollen »basic college level skills« (Boggs 2004) bescheinigen, womit die Brücken- oder
Zubringerfunktion ins Zentrum rückt. Von den 696.000 Studenten, die 2004/05
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