Traumfabrik Harvard
Management und ausgezeichneten Studenten
besteht – jedenfalls nicht nur. Ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger, sind Erwartungen und kulturelle Praktiken, die sie stützen.
In diesen Universitäten weht, weniger schwülstig lässt es sich leider kaum sagen, die Luft der Freiheit: Neugierde und Entdeckerfreude
wird nicht nur von
undergraduates
erwartet. »High expectations« schweben über der ganzen
alma mater
– und deren immensen materielle und immaterielle Ressourcen machen es allen ihren Mitgliedern leicht, sich zu strecken und
»Projektemacher« zu werden, zumal wenn sie – allen voran die Studenten – dazu stets und überall dazu ermuntert werden, neue
Horizonte auszuloten. Nicht brachialer Wettbewerbsdruck und leistungsorientierte Mittelzuweisung bringen die Würze, sondern
eine eigentümliche Mischung aus sportlichem Wetteifer und Selbstvertrauen, individuellem Ehrgeiz und kollektiver Anstrengung,
harter Arbeit und Belohnung, intellektuellen und unternehmerischen Herausforderungen. Das üppige
funding
für studentische Projekte, Auslandsreisen, kleinere Forschungsvorhaben oder zum Anschub größerer Initiativen bringt jede Menge
Gelegenheiten zum Greifen nah, etwas auszuprobieren, über sich hinauszugehen. Die Fortsetzung davon lässt sich in der schnell
wachsenden Peripherie bestaunen: Fast alle neuen Vorhaben, Programme oder Center an den privaten Forschungsuniversitäten werden
nach einer explorativen Phase nicht mehr aus dem regulären Hochschulhaushalt finanziert, sondern von Dritten gesponsort –
von Stiftungen oder großzügigen Spendern, Alumni oder betuchten Menschen, die ein bestimmtes Anliegen haben oder einfach nur
Lehre und Forschung fördern wollen. Wer Ideen hat, dem steht die Welt offen, und die privaten Spitzen-Universitäten bieten
allen ihren Angehörigen beste Hilfestellung für die Reise.
Die staatlichen Forschungsuniversitäten setzen alles daran, es ihren privaten Konkurrenten gleich zu tun oder ihnen gegenüber
zumindest nicht ins Hintertreffen zu geraten. In den goldenen drei Jahrzehnten zwischen 1945 und 1975 sah es ganz danach aus,
als könne das zumindest einigen tatsächlich gelingen und auch das Elite-Segment der amerikanischen Hochschulszene »verstaatlicht«
werden. Doch 30 Jahre später ist der Abstand zwischen privaten und öffentlichen Forschungsuniversitäten größer denn je – ganz
egal, mit welcher Elle man misst. Allerdings haben selbst die famosen
flagship institutions
in Kalifornien, Arizona, Michigan oder Illinois mit Handicaps zu kämpfen, die sie aus eigener Kraft eigentlich nicht überwinden |115| können. Erstens haben alle viel mehr Studenten als ihre privaten Mitbewerber – jeweils zwischen 35.000 und 45.000. Mit 20.000
wäre der kleinste Sprößling dieser Familie, die University of Virgina in Charlottesville, im privaten Sektor eine der größten
Einrichtungen. Zweitens sind auch die
flagships
gesetzlich verpflichtet, einen bestimmten Prozentsatz der Highschool-Absolventen aus ihrem Staat aufzunehmen. Drittens dürfen
sie von Landeskindern nur einen Bruchteil der Studiengebühren verlangen, die sie allen anderen Bewerbern aufladen, nämlich
den »in-state« statt den »out-of-state«-Satz – und dessen Höhe bestimmt die Regierung. Viertens sind die staatlichen Zuwendungen
einige Jahre lang kontinuierlich gesunken und damit ihre materiellen Spielräume deutlich enger geworden. Angesichts wachsender
Haushaltsdefizite und im politischen Nachbeben der kalifornischen »Steuerrebellion« 39 rollte in den 1980er Jahren eine Sparwelle durch die USA. In deren Gefolge kürzten fast alle Staaten die Zuwendungen an ihre
Hochschulen oder froren sie im günstigsten Fall ein. Inzwischen scheint die Hungerkur zwar ein Ende zu haben, und zumindest
die
flagships
haben großes Geschick darin entwickelt, andere Finanzierungsquellen aufzutun, die sie von Steuereinnahmen und politischen
Konjunkturen weniger abhängig machen. Doch das ändert nichts daran, dass selbst die besten und findigsten von ihnen noch immer
am Staatssäckel hängen, was ihre Beweglichkeit und »managerial discretion« nachhaltig einschränkt (Brint 2005: 42). Wie sie
es auch anstellen – unterm Strich haben sie stets weniger Geld als ihre privaten Konkurrenten und können folglich ihren Professoren
und Studenten auch nur weniger bieten: Geringere Gehälter und schlechtere Betreuungsverhältnisse, weniger Projektmittel –
und nicht
Weitere Kostenlose Bücher