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Traumfänger

Traumfänger

Titel: Traumfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlo Morgan
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fuhr ich fort, um Hilfe zu bitten: »Ich kann lernen. Ich werde alles tun, was nötig ist. Helft mir nur, Wasser zu finden. Ich weiß nicht, was ich machen soll, worauf ich achten muß und wohin ich gehen soll.«
    Wieder kam mir ein Gedanke: »Sei selbst Wasser. Sei selbst Wasser. Wenn du selbst Wasser bist, kannst du auch Wasser finden.« Was sollte das bedeuten? Es ergab für mich keinen Sinn. Sei selbst Wasser! Das ist nicht möglich. Doch nochmals bemühte ich mich, meine von der linken Gehirnhälfte geprägte Erziehung zu vergessen. Ich schob alle Logik beiseite, ignorierte meinen Verstand. Ich öffnete mich der Intuition, und mit geschlossenen Augen begann ich zu Wasser zu werden. Während ich weiterging, nutzte ich all meine Sinne. Ich roch Wasser, schmeckte Wasser, spürte, hörte und sah Wasser. Ich war selbst Wasser; blau, klar, trüb, still, kräuselnd, gefroren, geschmolzen, Dunst, Dampf, Regen, Schnee, naß, belebend, spritzend und unendlich weit. Alle nur möglichen Zustände von Wasser, an die ich denken konnte - ich war sie selbst.
    Wir wanderten über eine Ebene, die sich so weit das Auge reichte flach vor uns ausbreitete. Nur ein winziger, gelbbrauner Hügel war in der Ferne auszumachen, eine knapp zwei Meter hohe Sanddüne, die oben von einem Felsrand gekrönt wurde. In der kahlen Landschaft wirkte sie völlig deplaziert. Mit halbge-schlossenen Augen wanderte ich im gleißenden Sonnenlicht auf sie zu; fast wie in Trance erklomm ich den Hügel und setzte mich auf den Felsen. Als ich hinunterblickte, standen sie alle da, meine Freunde, die mich bedingungslos liebten und unterstützten; sie sahen zu mir hoch und grinsten über beide Backen. Schwach erwiderte ich ihr Lächeln. Dann streckte ich meine linke Hand nach hinten, um mich abzustützen.
    Ich spürte etwas Nasses. Mein Kopf flog herum. Hinter mir, in der Verlängerung der Felskante, auf der ich saß, befand sich ein Becken von etwa drei Meter Durchmesser und einem halben Meter Tiefe, und in ihm war wunderschönes, kristallklares Wasser aus der Regenwolke, die am vorangegangenen Tag so provozierend vor uns hergezogen war.
    Als ich den ersten Schluck des lauwarmen Wassers in meiner Kehle spürte, war ich unserem Schöpfer näher, als ich es beim Empfang einer Hostie in irgendeiner Kirche jemals gewesen bin.
    Ich hatte keine Uhr, aber von dem Moment, als ich mich wie Wasser zu fühlen begann, bis zu dem Augenblick, als wir unsere Köpfe laut jubelnd ins Wasser tauchten, waren wohl keine dreißig Minuten vergangen.
    Während wir noch laut über unsere Entdeckung jubelten, kam ein riesiges Reptil vorbeispaziert. Es war ein wirklich enormes Tier, das aussah, als wäre es ein Überbleibsel aus prähistorischen Zeiten. Und es war keine Sinnestäuschung, sondern ausgesprochen real. Für das Abendessen dieses Tages hätte es keine passendere Erscheinung geben können als diese Kreatur, die aussah, als stamme sie aus einem Sciencefiction-Film. Ihr Fleisch brachte uns die Euphorie, die einen bei Festgelagen manchmal überkommt.
    An diesem Abend verstand ich erstmals, warum dieser Stamm daran glaubt, daß eine Beziehung zwischen dem Land und den Eigenschaften der eigenen Ahnen besteht. Unser riesiger Felsenbecher schien aus seiner flachen Umgebung geradezu hervorzusprießen. Man hätte ihn ohne weiteres mit der nährenden Brust einer schon längst verstorbenen Ahnin vergleichen können, deren Körper in anorganische Materie übergegangen war, um unsere Leben zu retten.
    Insgeheim taufte ich den Hügel auf den Namen meiner Mutter - Georgia Catherine. Ich blickte hinauf in die unendliche Weite des Universums, das uns umhüllte, und sprach ein Dankgebet.
    Endlich hatte ich verstanden, daß die Welt wirklich ein Ort des Überflusses ist. Sie ist voll von guten, hilfsbereiten Menschen, die Anteil an unserem Leben nehmen, wenn wir es nur zulassen. Solange wir bereit sind, zu nehmen und auch zu geben, gibt es genügend Nahrung und Wasser für alles Leben auf der Welt.
    Ganz besonders dankbar aber war ich für den spirituellen Weg, den man mir für mein weiteres Leben gewiesen hatte. Jetzt wußte ich, daß man in jeder Bedrängnis Hilfe finden kann, sogar in der Berührung mit dem Tod und beim Sterben selbst, denn jetzt hatte ich endlich aufgegeben, alles »auf meine Art« tun zu müssen.

22 • Mein Schwur
    Während meiner Zeit bei dem Stamm waren alle Tage der Woche gleich. Auch gab es keine Möglichkeit herauszufinden, in welchem Monat wir uns befanden. Zeit

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