Traumfrau (German Edition)
Abfallkorb.
Auf dem Weg zum Kleiderschrank überlegte er sich die Sache noch einmal und holte die Flasche wieder heraus. Vielleicht konnte er damit dem arbeitslosen Martin Schöller eine Freude machen oder Hans Wirbitzki.
Er wunderte sich, dass ihm überhaupt der Gedanke gekommen war, die Flasche wegzuwerfen. Männer seiner Generation, die den Krieg erlebt hatten, wussten, was es bedeutete, arm zu sein. Sie warfen nicht einfach achtlos weg, was man noch gebrauchen konnte. Er hatte es immer als eine Unsitte der jungen Leute empfunden, alles Mögliche wegzuschmeißen. Jetzt stand er mit der Flasche in der Hand im Zimmer und fragte sich, ob er inzwischen nicht selbst zu dieser Wegwerfmentalität gekommen war.
Als er das frische Hemd auf seiner Haut spürte, zog er unwillkürlich den Bauch ein und straffte seine Körperhaltung. Er nahm die goldenen Manschettenknöpfe mit den schwarzen Onyxsteinen und ärgerte sich darüber, dass einer der Steine verkratzt war.
Er besaß auch eine passende Krawattennadel. Wann hatte er sie zum letzten Mal benutzt?
Schon auf Katis Hochzeit nicht mehr. Bei dem Gedanken musste er lächeln. Er hatte sich übers kalte Büfett gelehnt und sein Schlips hing bis auf die Eierplatte und baumelte in der Mayonnaise. Heutzutage gab’s kaum noch richtige Oberhemden, sondern nur noch Sporthemden mit phantasielosen weißen Knöpfen. Die Männer trugen keine Manschettenknöpfe mehr.
Nein, heute würde er nicht mit offenem Kragen gehen. Trotz der Schwüle wählte er die hellblaue Krawatte und steckte auch die Krawattennadel mit dem schwarzen Onyx an.
Wie er sich jetzt so im Spiegel betrachtete, gefiel er sich. Er war keineswegs ein alter Mann. Er war ein Herr. Dass er fünfzehn Kilo beim Ausschachten des Gartenteichs verloren hatte, tat ihm gut. Seit Monaten hatte er sich nicht mehr gewogen. Vermutlich waren inzwischen wieder ein paar Pfündchen dazugekommen, aber er war immer noch schlank.
Als er das Haus verließ, kontrollierte er mit einem Blick die Uhrzeit. Fünf vor sieben. Heute kam er pünktlich in die Linde. Seinen Gelenken ging es besser. Von Mattigkeit konnte gar keine Rede mehr sein. Er freute sich auf einen zünftigen Skat. Danach konnten alle mit zu ihm. Schließlich gab es etwas zu besprechen. Vorsichtshalber hatte er zwei Kästen Bier besorgt und eine zusätzliche Flasche Aquavit.
Während er sich mit kraftvollen Schritten der Linde näherte, knabberten Nagetiere die Bodenfolie in seinem Gartenteich durch. Trotz aller Umsicht war es ihm nicht nötig erschienen, das ausgeschachtete Teichinnere mit Maschendraht zu unterlegen. Diese Sicherung schien ihm übertrieben. Noch bevor er in der Linde das Essen serviert bekam, ertrank in seinem Garten eine Familie Wühlmäuse. Sie versuchten, sich vor dem einstürzenden Wasser ins Innere ihres Höhlensystems zu flüchten, doch das Wasser schoss zu schnell durch die dünnen Gänge.
Ein Goldfisch glubschte in das Loch. Er fetzte ein wenig an den ausgefransten Rändern der angenagten Folie, aber er war zu dick, um die Mäusehöhle zu erforschen.
7
Ihr Skatspiel in der Linde war nur ein nervöses Ablenkungsmanöver. Sie mussten ihren Skat heute dreschen, um nicht aufzufallen. Das eigentliche Ereignis dieses Abends würde erst später, in Günther Ichtenhagens Wohnung, stattfinden.
Martin Schöller spielte so unaufmerksam, dass er nicht einmal – wie sonst – alle Trümpfe hintereinander steckte. Zum ersten Mal, solange er an dieser Skatrunde teilnahm, fächerte er sein Blatt unsortiert auf.
Damit verwirrte er Günther Ichtenhagen derart, dass dieser ein bombensicheres Kreuz Solo verlor. Im ersten Moment glaubte Günther Ichtenhagen, von Martin Schöller hereingelegt worden zu sein. Aber schließlich konnte Günther Ichtenhagen schlecht ein Recht darauf anmelden, dass Martin Schöller seine Karten so zu ordnen hatte wie immer.
Erst jetzt bemerkte Günther Ichtenhagen, wie sehr ihn Schöllers künstlich blonde Löckchen störten. Auch seine Zähne hatten einen unnatürlich weißen Glanz. Heute trug er ausgewaschene, eng sitzende Jeans und nagelneue Puma-Schuhe mit goldenen Streifen. Sein Muskel-T-Shirt verriet geradezu marktschreierisch, dass er zu den Menschen gehörte, die Anerkennung brauchen, ja, krankhaft nach Bewunderung lechzen. Er befand sich immer nur latent im Gleichgewicht. Brauchte permanent Bestätigung, um nicht umzukippen. Hier in Ichtenhagen waren seine Möglichkeiten begrenzt. Zwischen Brens und Weierstadt gab es für
Weitere Kostenlose Bücher