Traumfrau (German Edition)
Helden weder Aufgaben noch Publikum.
Wen konnte er hier in der Linde mit seinen eingeölten Muskelpaketen schon beeindrucken?
Hanne Wirbitzki schielte manchmal zu ihm herüber und einmal, als sie ihm einen halben Liter servierte, hatte sie sogar ungeniert hingefasst, in seinen Bizeps gekniffen und gelacht:
„Da, Tarzan, lass es dir schmecken.”
Er war damals rot geworden, und Hans Wirbitzki hatte sich bemüht zu lachen, damit niemand merkte, wie peinlich ihm das Verhalten seiner Frau war.
Aus Angst, schwach zu sein, war Martin Schöller stark geworden. Aber während andere bereits seine Kraft bewunderten, beherrschte ihn noch immer die Angst vor der eigenen Schwäche. Eines Tages würden ihn dicke Muskelfasern schützend umgeben, einhüllen wie eine Ritterrüstung, und jeden Blick in seine ängstliche Psyche höhnisch abwehren. Er wusste, dass er verletzbar war. Mehr durch Worte und Blicke als durch Faustschläge. Forderte er ein Mädchen zum Tanzen auf und erhielt einen Korb, konnte ihn das für Wochen fertigmachen. Auf keinen Fall brachte er am gleichen Abend den Mut auf, eine andere zu fragen. Nach jeder Abfuhr war er so mutlos, dass er höchstens noch einen Spaziergang mit Johnnie Walker machte. Er mochte diesen Whisky nicht, hätte sich beim Trinken am liebsten die Nase zugehalten. Doch Whiskytrinken war männlich, und gerade wenn eine Frau ihn verschmähte, wollte er sich männlich fühlen. Außerdem gab ihm keine andere Alkoholsorte so sehr das Gefühl, Gift in sich hineinzuschütten. Jeder Schluck hatte etwas von einem kleinen Selbstmordversuch an sich und doch lag über allem das süße Wissen: Er würde überleben.
Obwohl Hermann Segler die Punktzahlen gewissenhaft wie immer aufschrieb, galt es stillschweigend als abgemacht, dass heute niemand bezahlen musste.
Wolfhardt Paul überreizte sich sogar einmal und bemerkte es erst widerwillig, als er nach Ablauf des Spiels von Hans Wirbitzki gefragt wurde:
„Wie hast du denn den Kreuz Solo gespielt?”
„Einfach”, knurrte Wolfhardt Paul, und alle fanden Martin Schöllers laute Bemerkung: „Da hast du dich aber überreizt, Wolfi!” überflüssig.
Natürlich hatte er sich überreizt, zum ersten Mal, seitdem er an diesem Skatstammtisch teilnahm. Niemand hatte einen Grund, ihn deswegen aufzuziehen. Am wenigsten Martin Schöller. Wolfhardt Paul war ein kluger und besonnener Skatspieler.
Gedankenverloren begann Hans Wirbitzki, sich die schwarzen Ringe unter den Fingernägeln mit einer Ecke seines Bierdeckels auszukratzen. Plötzlich erwachte er wie aus einem Traum, blickte auf die Uhr, dann ein wenig schuldbewusst auf seine Frau, die ihn aber nicht beachtete, weil sie Salatteller servierte. Dann zog Hans Wirbitzki fast verschämt eine Sechziger Fehlfarben hervor, biss sie an, spuckte die Tabakskrümel in den Aschenbecher und brachte die Zigarre mit zwei Streichhölzern zum Glühen. Wie eine Keule hing sie zwischen seinen Lippen.
Er hüstelte, und sofort warf Hanne ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. Hermann Segler, der den Blick auch registrierte, packte seine Schreibutensilien zusammen, klopfte die Karten auf der Tischplatte demonstrativ zusammen und sagte:
„Wir wollten sowieso gleich gehen.”
„Bis zehn müssen wir schon bleiben”, stellte Hans Wirbitzki fest.
Mit einem Augenaufschlag verständigten sie sich darüber, dass es tatsächlich besser sei, noch bis zehn Uhr zu bleiben. Früher waren sie nie vor Mitternacht vom Stammtisch aufgestanden. Aber wenn sie nach zehn die Runde bei Günther Ichtenhagen fortsetzen würden, konnte niemand Verdacht schöpfen. Höchstens der Lindenwirt würde säuerlich gucken. Schließlich lag zwischen zehn und Mitternacht die Zeit, in der das meiste Bier gezapft wurde.
Günther Ichtenhagen schmunzelte bei dem Gedanken, dass sie fast fünftausend Mark gewonnen hatten, ihr Lottogewinn für den Wirt aber eine Geschäftseinbuße bedeutete. Noch vor ein paar Tagen hätte er genau das Gegenteil für logisch gehalten. Wenn eine Stammtischrunde gemeinsam gewann, was lag dann näher, als den Gewinn in der Kneipe zu lassen?
Als Günther Ichtenhagen seine Karten flüchtig auffächerte, stellte er fest, dass er alle vier Buben in der Hand hielt. Auch wenn heute niemand seine Spielschulden begleichen musste, wollte er jetzt die Punktzahl so hoch wie möglich treiben. Ein Hand-Spiel war auf jeden Fall drin. Er wog ab, ob er Schneider ansagen konnte oder nicht.
8
Hans Wirbitzkis Atem klang wie Drehorgelmusik.
Hermann
Weitere Kostenlose Bücher