Traumfrau (German Edition)
Segler schwitzte, als würde das Bier direkt unter die Haut sickern und nach draußen dringen, ohne erst den Umweg durch Magen und Blutbahn zu nehmen. Er hielt die Arme vom Körper abgewinkelt, weil sie sonst unangenehm anklebten. Wie gläserne Rennschnecken bewegten sich die Wassertropfen auf seiner Haut. In seinen Bauchfalten entstanden Pfützen, die überliefen, und da, wo das Hemd sich spannte, bildeten sich schnell wachsende, dunkle Flecken. Er brauchte sich nicht zu genieren. Es fiel niemandem auf. Die glänzenden Farbfotos, die Martin Schöller wie ein Kartenspiel auf dem Tisch ausgebreitet hatte, nahmen die volle Aufmerksamkeit der Männer in Anspruch.
Selbst ein ungeschickter Einbrecher hätte in Ruhe die Wohnung ausräumen können.
Wolfhardt Paul nahm ein Bild in die Hand und führte es nah vor seine Augen. Eine fast weihnachtliche Stimmung kam in ihm auf. Das Mädchen stand vor einer großblättrigen exotischen Pflanze. Ihre Augen – genau in Bildmitte – spiegelten das Blitzlicht wider, so dass mitten in ihrer schwarzen Iris zwei künstliche Sterne glitzerten. Ihre pechschwarzen Haare hatte sie hinter die Ohren gekämmt, um einen freien Blick auf ihr ovales Gesicht zu ermöglichen. Ihr Pony reichte bis zu den Augenbrauen. Bestimmt hatte sie widerspenstiges Haar. Obwohl ordentlich frisiert, wirkte es wild. Mit ihrem schmalen Hals und ihrem unschuldigen Lächeln weckte sie einen Beschützerinstinkt in Wolfhardt Paul, den er seit Jahren nicht mehr gespürt hatte.
Obwohl sie lächelte, lag Leid in ihrem Gesicht. Sie trug ein weißes Kleid, das die Schultern freiließ und ihre dunkle Haut zur Geltung brachte.
Wolfhardt Paul hatte außer im Fernsehen und in Illustrierten noch nie eine Frau mit so schreiend roten Lippen gesehen. Er drehte das Foto um. Das Mädchen hieß Suvanna Intama und hatte die Nummer 931049.
Er las alle Angaben zu ihrer Person.
1,51/50
Buddhistin
05.02.2500 (1957)
Pass: beantragt
spricht Thai und etwas Englisch
Suvannas einziges Hobby ist die Hausarbeit.
Sie ist ledig, hat keine Kinder.
Eine Heirat ist sofort möglich.
„Was heißt das hier? Eins Komma einundfünfzig Strich fünfzig?”
„Das bedeutet, dass sie ein Meter einundfünfzig groß ist”, belehrte Martin Schöller den Landwirt.
Das hatte sich Wolfhardt Paul gedacht. Aber was bedeuteten die fünfzig? Das Alter konnte es schlecht sein ...
„Vielleicht die Kleidergröße?”, rätselte Günther Ichtenhagen. Aber für diese Vermutung brachte Martin Schöller nur Spott auf.
„Guck sie dir mal genau an. Die hat höchstens Kleidergröße sechsunddreißig. Das ist der Brustumfang!”
Hans Wirbitzki versuchte, sich das vorzustellen. Eine Frau mit einem Brustumfang von fünfzig Zentimetern. Mit seinen Armen beschrieb er vor seinem Bauch einen Kreis von etwa fünfzig Zentimetern.
„Nee”, lachte er, „das kann ja wohl nicht sein, die ist doch keine Puppe, sondern ein Mensch. Vielleicht der Taillenumfang.” Wolfhardt Paul konnte sich darunter genauso wenig vorstellen. Für einen Moment überlegte er, welchen Brust- und Taillenumfang seine Frau haben mochte. Unmöglich zu schätzen. Wann hatte er sie zum letzten Mal nackt gesehen? Vor etwa einem Jahr, als sie in der Badewanne ausgerutscht war und ihn um Hilfe rief? Vermutlich hatte sie überhaupt keine Taille. Ihr Körper war fassförmig.
„Was glauben die Buddhisten eigentlich?”, fragte Günther Ichtenhagen. „Wenn sie angibt, am fünften zweiten im Jahre zweitausendfünfhundert geboren zu sein, dann muss sie wohl strenggläubig sein ...”
„Die haben eine ganz andere Zeitrechnung.”
Martin Schöller nahm Suvannas Bild an sich und steckte es wieder ein. „Die ist sowieso viel zu alt.”
Wolfhardt Paul protestierte: „Wieso zu alt? Das ist ein junges Mädchen!”
„Überleg mal, Wolf, siebenundfünfzig geboren – die ist zweiunddreißig! Für thailändische Verhältnisse eine alte Frau ...”
„Dreißig? Sie sieht viel jünger aus ...”
„Wieso ist sie mit dreißig denn zu alt für uns?”, hakte Günther Ichtenhagen nach, und Martin Schöller wies ihn mit einem scharfen Satz zurecht:
„Mit vierzig ist sie eine alte Frau. Verbraucht. Diese Asiatinnen sind nur schön, solange sie jung sind.”
Hermann Segler gab ihm sofort Recht. In der Metzgerei, in der er arbeitete, kaufte jeden Freitag eine Asiatin ein. Ihre faltige Pergamenthaut ließ sie hexenhaft aussehen und mindestens hundert Jahre alt. Doch ihr federnder Gang und ihre feste Stimme
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