Traumfrau (German Edition)
werden ins dunkle Meer der Erinnerungen.
Zu Hause legte er sich mit einer Flasche Mineralwasser auf die Couch, stopfte sich weiche Kissen in den Nacken, verschränkte die Hände hinterm Kopf, schloss die Augen und ließ den inneren Film ablaufen. Bald schlief er ein.
Er träumte von dem Urlaub in den Alpen mit Elfriede. Damals, als sie noch jung und gesund war und so hell lachen konnte, dass es in seinen Ohren schmerzte. Es war der letzte und einzige Urlaub ohne Kati. Vermutlich wurde sie sogar in diesem Urlaub gezeugt. Er stand wieder auf dem Gipfel des Berges, hatte seinen Arm um Elfriede gelegt und rund um sie her nur noch Landschaft. Sogar auf die Raubvögel konnten sie herabsehen.
Ein paar kleine, weiße Wolken hingen unter ihnen in den Tannenwipfeln.
Sie konnten diese Weite nicht fassen. Dieses plötzliche Gefühl von Freiheit. Sie hatten nie tiefer geatmet und empfanden die Klarheit wie einen plötzlichen Rausch. Doch anders als damals wurde Günther Ichtenhagen plötzlich immer leichter. Schon schwebte er über dem Gipfel, und Elfriede sah zu ihm auf, wie er ohne eine einzige Bewegung mit ausgebreiteten Armen und zusammengepressten Beinen vogelgleich davon schwebte.
Sein Flug hatte nichts Gefährliches an sich, drohte nie, zu einem Sturz zu werden, denn ihm fehlte jede Anstrengung. Günther Ichtenhagen zog den Kopf ein und drückte ihn an die Brust; das reichte aus, um in die unteren Wolken einzutauchen. Jetzt stand Elfriede über ihm. Er hörte, wie sie seinen Namen rief. Er flog, um ihr zu gefallen.
Dann sah sie ihn nicht mehr und begann zu weinen und zu klagen. Nicht aus Angst, ihm könnte etwas zugestoßen sein, sondern weil sie die Einsamkeit nicht ertrug. Klagte, weil sie den Weg zurück allein nicht finden würde, und beschwor ihn, zurückzukommen. Mit ruhiger Gelassenheit schwebte er zu ihr heran, bat sie, sich an ihm festzuhalten, und glitt dann mit ihr auf dem Rücken davon.
Als er erwachte, war sein Nacken steif. Er sah nach, was das Fernsehprogramm bot, fand aber nichts, was ihn auch nur annähernd interessiert hätte.
Nervosität verdrängte seine Mattigkeit. Er fühlte sich unruhig wie ein Rennpferd vor dem Start. Der Gedanke, morgen Abend in der Linde seine Skatbrüder wiederzutreffen, ließ sein Blut schneller durch die Adern pulsieren. Unmöglich, sich jetzt schlafen zu legen. Er holte sein langstieliges Glas, nahm noch einen Aalborg und ging dann zur Ichte, wo die Luft würziger und schwerer zwischen den Hügeln hing als je zuvor.
6
Günther Ichtenhagen stand im Unterhemd vor dem Rasierspiegel und genoss das schabende Geräusch, mit dem die Klinge auf seinem Gesicht Bahnen zog wie ein Schneepflug. Mit zwei Fingern straffte er die Haut über den Backenknochen und kratzte darin mit der Doppelklinge Schaum und Stoppeln ab. Er liebte es, sich nass zu rasieren. Er fühlte sich dabei jung, männlich und stark. Es brachte ihm viele Samstagabende seiner Jugend zurück. Das Fieber vor dem Rendezvous. Die Vorfreude auf den Tanz. Den Geschmack von Lippenstift.
Wenn er die Augen schloss, konnte er sogar für einen Moment Elfriedes Parfüm riechen. Sir de Paris. Es war damals sündhaft teuer gewesen. Vierzehn Mark. Auf der Tanzfläche hatte er sie nach dem Namen dieses zauberhaften Duftes gefragt, wodurch sie sich sichtlich geschmeichelt fühlte. Am anderen Tag wollte er ein Fläschchen für sie besorgen. Der dunkelblaue Flakon mit dem silbernen Verschluss fühlte sich an wie Elfriedes Haut an jenem Tanzabend. Der Preis erschütterte ihn. Das Fläschchen war nicht größer als eine Taschenuhr. Es enthielt nur ein paar Tropfen. Doch er traute sich nicht, es dem Friseur zurückzugeben. Er hatte noch nie so viel Geld für ein Geschenk ausgegeben.
Er musste nach Hause zurück und seinen Vater anpumpen, um noch Geld für eine Tasse Kaffee und ein Stückchen Kuchen zu haben. Er hatte sich mit Elfriede in einem Café verabredet und bedauerte seine Investition nicht eine Sekunde, denn Elfriede wusste das Geschenk zu schätzen.
Jetzt klatschte er sich Rasierwasser ins Gesicht, aber es erfrischte nicht, es brannte nur auf der Haut. Es war eine neue Marke. Blau. Sah aus wie Eiswasser. Ein Geschenk seiner Enkeltochter Stefanie.
Als Vater und Opa war er daran gewöhnt, zu Weihnachten einen Schal, ein paar Socken oder Rasierwasser zu bekommen. Aber dieses hier war eine billige Marke. Er vertrug es nicht. Rote Flecken bildeten sich in seinem Gesicht. Er warf die volle Flasche sofort in den
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