Traumfrau (German Edition)
jetzt endlich ruhig! Wir sind auf einer Beerdigung.”
Ob die Clubfrauen wissen, dass Mary bei uns ist?, fragte sich Wolfhardt Paul. War das Zufall? Oder haben die versucht, sich heimlich zu treffen? – Quatsch. Die können nichts voneinander wissen. Mary ist stumm. Und hat das Haus bestimmt nie verlassen.
Der Kaffee in der Linde war ein wenig zu bitter, wurde aber trotzdem von allen gelobt. Es gab Schweineöhrchen, Puddingtörtchen, Berliner Ballen und mehrere Platten mit belegten Schnitten. Familie Paul saß zusammen. Der Vater in der Mitte, links und rechts die beiden Frauen. Direkt gegenüber Frau Segler und ihr Sohn. Dann Hanne Wirbitzki neben ihrem Mann. Martin Schöller setzte sich so, dass er Dieter Segler direkt in die Augen sehen konnte. Er wollte ihm heute so nah wie möglich sein, damit nicht noch ein anderer auf die Idee kam, sich Hermann Seglers Anteile überschreiben zu lassen. Ein Glück, dachte er, dass Günther noch im Krankenhaus liegt. Der wäre ein Konkurrent gewesen. Der möchte sie am liebsten ganz für sich allein haben.
Wolfhardt Paul und Hans Wirbitzki schien es schlecht zu gehen. Martin Schöller registrierte das mit Wohlgefallen. Wenn die beiden sich erst mal ausgevögelt haben, krieg ich deren Anteile auch, dachte er schmunzelnd. Und dann, mein lieber Günther, tanzt sie nach meiner Pfeife. Und wenn du alter Mann ihr hörig genug bist, tanzt du mit.
Die Vorstellung, nicht mehr bei den Eltern zu wohnen, ohne Ichtenhagen ganz zu verlassen, schien Martin Schöller immer vielversprechender. Er würde bei Günther Ichtenhagen einziehen. So war er der Kontrolle seiner Eltern entzogen, war aber nicht zu weit weg, um ihnen wehzutun. Er konnte die Freiheit genießen, mit Mary Geschäfte machen, und Günther würde den Geist eh bald aufgeben.
Sie wird ihn heiraten, dachte Martin Schöller. Er wird sie sogar auf Knien darum bitten. Er vögelt sich noch einmal die Seele aus dem Leib und sie pflegt ihn tot. Sie erbt das Haus und die Rente. Und sie gehört mir ...
Er sah einer rosigen Zukunft als Untermieter entgegen. Niemand würde Verdacht schöpfen, wenn die einsame Witwe bald schon ein, zwei Freundinnen aus ihrer Heimat zu sich holen würde. Natürlich müsste die Ehe offiziell werden. Jeder im Dorf wüsste spätestens nach Günther Ichtenhagens Tod darüber Bescheid. So etwas ließ sich nicht geheim halten. Warum auch? Niemand müsste die Vorgeschichte kennen lernen. Er würde sie für sich behalten, und dafür hätten Wolfhardt Paul und Hans Wirbitzki ihm ewig dankbar zu sein.
Er fühlte sich schon wie der Herrscher des Dorfes. Die Gespräche in der Linde kreisten immer wieder um den gegenüberliegenden Club. Unübersehbar frech stand er da, mit seiner Broadway Leuchtschrift. Die roten Lampen blinkten noch nicht, aber durch die gefärbten Fensterscheiben schimmerte Licht. Großreinemachtag im Puff, nannten die männlichen Dorfbewohner das. Oder auch Spermawischtag. Die Frauen sprachen von Thailändischem Wisch, und es hörte sich an wie bakterieller Schmierschmutz.
Plötzlich, die erste Runde Bier wurde gerade angezapft und Wolfhardt Paul biss in ein Mettbrötchen mit halbierter Gurke, da lief Mary mit wehendem Haar vom Wiesenweg in die Friedhofstraße. Wolfhardt Paul hätte gar nicht erst versuchen müssen, Hans Wirbitzki anzustoßen. Sein ängstliches Zusammenzucken war Signal genug. Hans Wirbitzki sah sie auch. Sie lief auf den Club zu.
Martin Schöller warf noch ein Stückchen Würfelzucker in den Kaffee, um ihn genießbar zu machen, und rührte heftig um.
Hans Wirbitzki versuchte, ihm ein Zeichen zu geben, fühlte sich aber wie von einer Giftschlange gebissen. Seine Muskeln waren gelähmt. Er konnte nicht einmal aus Verlegenheit in ein Brötchen beißen. Die Frauen spürten die Erschütterung ihrer Männer, konnten sie sich aber nicht erklären. Jetzt entdeckte Dieter Segler Mary. Sie stand vor der Eingangstür des Clubs und klingelte.
Bürgermeister Sendelmayr wurde von seiner Frau darauf aufmerksam gemacht. Wolfhardt Paul nahm, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, nur Satzfetzen auf.
„Bestimmt ist die denen wieder weggelaufen ...”
„... jetzt kommt sie zurück ...”
„Die wissen nicht wohin, die armen Mädchen ...”
„... wenn mein Sohn mit so einer nach Hause käme ...”
„... versteh die Männer nicht ...”
„... vielleicht macht es ihr Spaß? “
„Tu was!”, zischte Hans Wirbiztki zu Martin Schöller. „Sofort!”
Im allgemeinen Stimmengewirr
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