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Traumfrau (German Edition)

Traumfrau (German Edition)

Titel: Traumfrau (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Hallo sagen, ein Lebenssignal gehen. Durch Marys Stummsein wurde der Apparat auf seinem Nachttisch zu einer sinnlosen Attrappe.
    Mühsam begann Günther Ichtenhagen, sich anzukleiden. Er ließ den Schlafanzug an und streifte die Hose darüber, das ging ganz gut. Als er den Gürtel zuschnürte, fiel ihm auf, dass er dünner geworden war. Er schob die Nadel durch das letzte Loch. In der kurzen Zeit seit Marys Ankunft hatte er mehr Fett verloren als während der Gartenarbeit am Teich.
    Er zog das Hemd über die Schlafanzugjacke, und es interessierte ihn nicht, dass die breiten, blauen Streifen durchschimmerten. Damit kam der schwierigste Teil des Ankleidens: Er musste an die Schuhe kommen. Sie standen unten in dem schmalen Spind, die Socken zusammengerollt im rechten Schuh. Langsam bückte er sich. Mit der rechten Hand hielt er sich am Spind fest, mit der linken versuchte er, tief genug zu kommen, um den ersten Schuh greifen zu können. Zuerst dröhnte es in seinen Ohren, dann tanzten Punkte auf ihn zu, winzige Luftballons, die rasant größer wurden, durch die Augen in sein Gehirn flogen und dort platzten. Erst rote Ballons, dann blaue. Als der erste gelbe heranschoss, verlor Günther Ichtenhagen das Gleichgewicht. Mit dem Kopf zuerst stürzte er. An dem billigen, scharfkantigen Metallschloss des Spinds ratschte er sich das Ohr auf. Der Kopf knallte in den Schrank, wie weich gekochte Nudeln glitten die Beine unnatürlich auseinander. Er hörte das quietschende Wippen der Kleiderbügel über seinem Kopf, die mit jeder Bewegung gegen die metallenen Innenwände des Spinds schlugen. Seine Nase drückte sich auf dem Spindboden platt.

48
    Hanne Wirbitzki sprang auf: „Ja! Der Martin, das ist wenigstens noch ein Mann! Ein richtiger Kavalier. Der hilft einer Frau in Not!”
    „Ja! Zurück ins Bordell!”, rief jemand aus der hintersten Reihe und garnierte seinen Ausspruch mit hysterischem Gelächter. Alle waren froh, dass es vorbei war, dass man sich wieder der Beerdigungsfeier, dem Kaffeetrinken widmen konnte. Nur Hanne wollte nicht zur Tagesordnung übergehen: „Ihr wisst alle genau, was dort passiert. Warum tut denn keiner was? Mir kann kein Mensch erzählen, dass die Mädels freiwillig da sind! Wenn ihr richtige Männer wärt, würdet ihr reingehen und den Frauen helfen. Das funktioniert nur, weil wir alle tun, als ob wir von nichts wüssten!”
    „Reg dich nicht auf, Hanne!”
    „Ich will mich aber aufregen!”
    Bürgermeister Sendlmayr sah sich um. Er musste etwas sagen. Seinen Wählern das Gefühl geben, bei ihm läge alles in guten Händen.
    „Udo Tiedemann ist in der Kreisstadt. Ich habe im Ochsen eine Nachricht für ihn hinterlassen. Ich muss ihn sowieso treffen, um mit ihm über dieses Schandmal zu reden.”
    Martin Schöller ließ sich von Helga Paul die Kaffeetasse vollgießen und trank die lauwarme Brühe in großen Zügen.
    Gar nicht so schlecht, dachte er. Man hielt ihn für einen Helden. Niemand durchschaute, was wirklich los war. Die Tatsache, dass überhaupt einer gewagt hatte, vor aller Augen zu ihr zu gehen, war bereits eine Heldentat. Einer war aufgestanden, um einer offensichtlich verzweifelten Frau zur Seite zu stehen. Martin fühlte sich prächtig. Diese blöden Ichtenhagener würde er noch lange an der Nase herumführen.
    Wolfhardt Paul wagte es nicht, aufzusehen. Hans Wirbitzki starrte mit geweiteten, angsterfüllten Augen zwischen Hanne und Martin hin und her.
    Martin lehnte sich bequem zurück. Er hatte alles im Griff. Er zog einen goldenen Kugelschreiber aus dem Jackett. Er hatte ihn noch nie benutzt, fand aber, dass ein Geschäftsmann wie er ständig einen solchen Kugelschreiber mit sich führen sollte. Er spielte damit auf der Tischplatte, und Dieter Seglers Augen folgten dem goldenen Stift wie hypnotisiert. Für ihn war es ein Symbol. Ein letztes Zeichen: Überschreib mir deine Anteile. Du siehst, dass es Ärger geben wird. Ich werde dich raushalten aus der ganzen Sache. Dich und deinen toten Vater. Wenn du jetzt unterschreibst.
    Was Dieter daran hinderte, solch ein formloses Papier aufzusetzen, war die Angst, sich damit in Martins Hand zu begeben. Dieter wusste nicht, ob überhaupt etwas Schriftliches vorlag. Er hatte keine Ahnung, wie man solche Geschäfte abwickelte. Vielleicht würde Martin ihn später mit genau diesem Dokument erpressen. Was, wenn Martin eines Tages damit drohte, diesen Zettel an Dieters Mutter zu schicken?
    Hiermit trete ich, Dieter Segler, die zwanzig Prozent an

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