Traumfrau (German Edition)
zusammenbrechen zu sehen. Nur Günther Ichtenhagen wartete im Krankenhaus noch immer auf seine Entlassungspapiere.
Frau Segler kippte gleich zweimal um. Einmal, als Bürgermeister Sendlmayr in seiner ergreifenden Rede darauf zu sprechen kam, dass jeder sein Päckchen mit sich herumträgt. Hermann Segler habe sein Leid klaglos ertragen. Die Menschen seien, so Bürgermeister Sendlmayr, wie Eisberge: Man sieht nur ein Siebtel, der Rest bleibt unter Wasser. Also sei auch der größere Teil der menschlichen Seele und Existenz unsichtbar. In das erste allgemeine Nicken hinein brach Frau Segler schluchzend am Arm ihres Sohnes zusammen. Für alle unerwartet sprang Hanne Wirbitzki aus der vierten Reihe nach vorn und stand Frau Segler bei. Gestützt von ihrem Sohn und Frau Wirbitzki lauschte sie weinend dem Rest von Sendlmayrs Rede, die er (natürlich mit anderen Namen) schon dreimal gehalten hatte und folglich routiniert mit dramatischen Höhepunkten auszustatten wusste. Am Ende, als es um die Verdienste des Verstorbenen für die Allgemeinheit ging, kam der Bürgermeister ein bisschen durcheinander, lobte Hermann Seglers Einsatz für die Dorferneuerung, die dieser zeitlebens als blödsinnig abgelehnt hatte; aber das verzieh man dem Bürgermeister. Bei seinen vielen Verpflichtungen konnte so etwas schon einmal passieren, und das Ansehen des Toten hatte er damit nicht beschmutzt. Als dann der Sarg abgesenkt wurde, versagten Frau Seglers Knie zum zweiten Mal.
Unwillkürlich wanderten einige Männerblicke bang nach oben und suchten die Fenster nach einem verdächtigen Schatten ab, als sich der Trauerzug vom Friedhof zur Linde an Günther Ichtenhagens Haus vorbeiwälzte. Nur Martin Schöller grinste breit. Voller Besitzerstolz. Er würde sich noch heute den Anteil von Dieter Segler überschreiben lassen. Kostenlos natürlich. Dieter war froh, alles ohne Aufsehen regeln zu können. Hauptsache, seine Mutter erfuhr von nichts. Alles andere war ihm egal.
Aber die Überschreibung der Anteile musste schriftlich erfolgen. Darauf bestand Martin Schöller. Als Geschäftsmann, der er werden wollte, legte er auf solche Formalitäten Wert. Mündliche Absprachen, das war etwas für Pferdehändler und Kuhdiebe.
Amüsiert betrachtete Martin Schöller seinen alten Kumpel, wie er, die Mutter am Arm, mit gesenktem Kopf durchs Dorf schritt. Du Heuchler. Du bist genauso ein Spießer wie dein Vater. Und du wirst daran kaputtgehen wie er. Warum könnt ihr nie zu euch stehen? Warum nicht wirklich so egoistisch handeln, wie ihr denkt? Wenn du nach Ichtenhagen zu Besuch kommst, um deine arme alte Mutter nicht ganz allein zu lassen, darfst du Mary jederzeit bumsen, sooft du möchtest. Es geht mir nur um die Anteile. Vierzig Prozent ist schon eine ganze Menge. In Zukunft werde ich zwei Stimmen haben, wenn es um ihr Schicksal geht. Aber einundfünfzig Prozent wären besser. So viel braucht man mindestens, um eine Firma richtig zu beherrschen.
Hinter Martin Schöller drehten sich die Gespräche um den zweiten Todeskandidaten des Dorfes: Günther Ichtenhagen. Man munkelte, er würde auf eigenes Risiko vorzeitig aus dem Krankenhaus entlassen werden. Während Wolfhardt Paul vehement dafür stritt, dass Günter bald wieder topfit sein würde, kamen am Ende des Zuges bereits Diskussionen darüber auf, zu welchem Preis das Haus von Günther Ichtenhagen gekauft werden könnte.
„Man muss heutzutage schnell sein, wenn ein Haus im Dorf leer steht, sonst wird sofort ein Puff daraus.”
Wolfhardt Paul erschrak tief in seinem Inneren, als er die Worte seines Nachbarn hörte. Geheimnistuerisch fuhr dieser fort: „Gestern Abend sind aus dem Club wohl ein paar Mädchen abgehauen. Sagt bloß, ihr habt das nicht mitgekriegt? Die rannten wie aufgescheuchte Hühner durchs Dorf. Na ja, zumindest eine habe ich gesehen. So eine Hübsche, Kleine, Zierliche. Sah aus wie fünfzehn. Ich wollte schon die Polizei rufen. Der Typ suchte sie ganz aufgeregt. Sie hielt sich in Günther Ichtenhagens Garten versteckt. Gut, dass er noch im Krankenhaus liegt. Er hätte sonst bestimmt den dritten Herzinfarkt bekommen.”
Seine Frau stupste ihn in die Rippen. Ihr waren die Sprüche ihres Mannes peinlich. Jeder wusste, dass es diesen Club gab. Aber man musste nicht dauernd darüber sprechen.
Ihr Mann fügte witzelnd hinzu: „Ganz so treue Dienerinnen scheinen diese Thai-Mädchen wohl doch nicht zu sein ... meine Frau ist mir jedenfalls noch nie weggelaufen, nicht wahr, Hilde?”
„Sei
Weitere Kostenlose Bücher