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Traumfrau mit Fangzähnen

Traumfrau mit Fangzähnen

Titel: Traumfrau mit Fangzähnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Savannah Russe
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verschwinden war ein tröstlicher Gedanke, in etwa so, als betrete man den Schutz einer Höhle. Ich ging östlich des Flatiron-Gebäudes die Treppen zur U-Bahn-Station hinab, durch den Tunnel, der unter dem Broadway hindurchführte, und wieder hinauf zu der Plattform an der dreiundzwanzigsten Straße, die in den Norden Manhattans führte. Meine Schritte hallten auf dem grauen Betonfußboden wider.
    Es liegt in meiner Natur, wachsam zu sein. Ich sehe mich immer nach einer möglichen Gefahr um. Ich bin eine Gejagte, wie meine Art es schon seit Jahrtausenden ist. Die Angst ist mein ständiger Begleiter.
    Ich steckte meine Subwaykarte in den Schlitz, trat auf den Bahnsteig und wartete auf den nächsten Zug. Ich hatte das Gefühl eines Déjà-vu und kämpfte gegen die wachsende Traurigkeit an. Nur wenige Monate zuvor, zu Beginn meiner Spionagekarriere, war Darius mir in genau diese Station gefolgt. Er hatte mir Angst eingejagt, mich aber gleichzeitig fasziniert. Doch heute Nacht war niemand hier, nur ein Betrunkener, der mit leicht geöffnetem Mund ausgestreckt auf einer Bank lag. Als der Zug der Linie N einfuhr, betrat ich das hellerleuchtete Innere. Sofort wünschte ich mir, eine Sonnenbrille dabeizuhaben, um das grelle Licht, das von den Plastiksitzen und Aluminiumtüren reflektiert wurde, etwas abzudunkeln. Ich setzte mich auf eine der harten, grauen Bänke. Die Türen schlossen sich mit einem lauten Knall, und der Zug verließ die Station. Der Wagen war leer, bis auf einen kleinen Mann, der ein Stück weiter rechts saß. Plötzlich stand er auf, kam näher und setzte sich mir gegenüber. Jetzt erkannte ich ihn auch. Es war der Schamane. »Mein Name ist Don Manuel.«
    »Ich weiß«, antwortete ich. »Was wollen Sie?« Der Zug nahm schwankend Geschwindigkeit auf, und ich hörte das gleichmäßige
Klack Klack Klack
der Räder auf den Schienen.
    »Susto Einhalt gebieten«, erwiderte er. »Genau wie Sie, und doch anders als Sie.«
    »Was meinen Sie damit? Sie sprechen in Rätseln«, sagte ich und blickte in seine hellen Augen.
    »Keine Rätsel«, entgegnete Don Manuel, »sondern Wahrheit. Sie wollen das Susto aufhalten, indem Sie die Männer fangen, die die Rinde aus meinem Dschungel mitgenommen haben. Ich will das Susto aufhalten, indem ich Ihnen beibringe, was es ist.«
    »Also, was ist es? Die Rinde, die Sie uns gegeben haben, ist es jedenfalls nicht.« Der Zug fuhr in die Station der achtundzwanzigsten Straße ein. Die Türen öffneten sich, doch niemand stieg ein. Die Türen schlossen sich wieder, und der Zug fuhr erneut schlingernd in den dunklen Tunnel.
    »Nein, die Rinde ist kein Susto. Aber aus der Rinde wird das Pulver gewonnen, das die Männer verkaufen.« Don Manuels Gestalt war von einer schimmernden Aura umgeben, und mir fiel auf, dass er zwar zu sitzen schien, sein Körper jedoch den Sitz nicht berührte.
    Ich hätte Don Manuel am liebsten angefasst, um zu prüfen, ob er »echt« war, doch das wäre respektlos gewesen. Stattdessen betrachtete ich ihn aufmerksam und sagte: »Das verstehe ich nicht. Wenn das Pulver nicht Susto ist, was ist Susto dann?«
    »Ihr Amerikaner nennt es Angst. Mein Volk nennt es den Verlust der Seele.« Während er dies sagte, fiel für einen kurzen Augenblick das Licht im Zug aus, und das Wageninnere wurde in vollkommene Dunkelheit getaucht. Als das Licht wieder anging, hatte Don Manuel seine Gestalt gewechselt. Ein gelbes Bonbonpapier wirbelte den Mittelgang des Wagens entlang, als würde es von einer vereinzelten Windböe getrieben. Der Zug fuhr in die nächste Station ein. Als sich die Türen öffneten, wehte das Papier hinaus auf den Bahnsteig und setzte seine taumelnde Reise auf den unsichtbaren Luftströmen fort. Ich trat hastig zur Tür und spähte hinaus in den riesigen, viel zu hellen Bahnhof mit seinem Labyrinth aus Treppen, Gängen und Zwischengeschossen. Das Bonbonpapier war nirgendwo mehr zu sehen. Ich stand noch eine Weile da, bis die Tür sich schloss, der Zug seine Reise fortsetzte und erneut das einsame
Klack Klack Klack
seiner Räder ertönte.
    Als ich den Schlüssel in das Schloss meiner Wohnungstür steckte, war es bereits drei Uhr. Ein freudiges W
uff Wuff
empfing mich. Ich war noch nie von einem Hund begrüßt worden, und meine Laune besserte sich schlagartig angesichts Jades vorbehaltloser Freude.
    Ich beugte mich zu ihr hinunter, umarmte sie und vergrub mein Gesicht in ihrem dicken Fell. Ihre Wärme und positive Energie schienen auf mich überzugehen. »Hast

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