Traumfrau mit Fangzähnen
du Hunger, kleine Jade?«, fragte ich. »Ich auch. Gib mir eine Minute.«
Ich streifte meine Manolos von den Füßen, zog ein Sweatshirt und eine Yogahose an und ging barfuß zur Stereoanlage, in die ich Bachs
Goldberg-Variationen
einlegte. Ich brauchte jetzt entspannende Musik, die mich durch den Rest der Nacht begleitete. Dann betrat ich die Küche, um mir und dem Hund etwas zu Essen zu machen, doch beim Anblick der beiden leeren Kaffeetassen, die auf der Anrichte standen, überrollte mich plötzlich eine Welle der Sehnsucht und Traurigkeit. Sie stammten noch vom vorigen Tag, als Darius und ich zusammen auf der Couch gesessen und sich unsere Füße berührt hatten und ich zum ersten Mal seit langer Zeit glücklich gewesen war. Ich nahm Darius’ Tasse, führte sie an den Mund und berührte sie mit meinen Lippen an der Stelle, wo er getrunken hatte. Ich schloss kurz die Augen und stellte die Tasse wieder zurück.
Dann bereitete ich Jade ihr Fressen zu und schob ihr die Schüssel hin. Sie vergrub die Schnauze darin und schnaubte fröhlich. Mein eigenes Mahl aus reichhaltigem, rotem Blut goss ich in ein Glas aus echtem Waterfordkristall und setzte mich damit an den Esstisch. Während ich spürte, wie mich das Blut langsam wieder zu Kräften brachte, dachte ich darüber nach, was der Schamane erzählt hatte. Laut Don Manuel raubte Susto dem Konsumenten die Seele. Wahrscheinlich war das eine Metapher für den Verlust des Willens oder für vollkommene Hilflosigkeit. Don Manuel hatte auch gesagt, Susto bedeute Angst. Meinte er damit, dass Susto eine furchterregende Halluzination auslöste und sich eine Art Horrorfilm im Kopf des Konsumenten abspielte? Oder verursachte die Droge einen Überschuss an Adrenalin und anderen Stresshormonen als Reaktion auf ein starkes Angstgefühl? Vielleicht tat sie auch beides zusammen. Aber warum starben manche Menschen daran? Vielleicht würde die Analyse des braunen Pulvers endlich Aufschluss darüber geben, was die Droge derart beliebt, Sucht erzeugend und tödlich machte.
Nach dem Essen rief ich meine E-Mails ab und entdeckte zwei Nachrichten von Fitz. Die erste hatte er noch vor unserem Treffen im Pub geschickt. Die zweite lautete wie folgt:
Daphne, edle Dame,
ich werde Ihr Ritter in glänzender Rüstung sein, wann immer Sie mich benötigen. Ihr liebliches Gesicht bannt den Kummer, der mich überallhin wie ein Schatten verfolgt. Darf ich hoffen, Sie morgen zu sehen? Falls Sie mich mit Ihrer Gesellschaft beehren, werde ich Sie um sechs Uhr in meiner Kutsche vor Ihrem Haus erwarten. Der Empfang meines Onkel findet zu Ehren einiger Politiker statt, daher wäre Abendgarderobe angebracht. Der Gedanke, Sie in einer edlen Robe zu sehen, lässt mich vor Vorfreude erschauern. Ich kann Sie jedoch erst kurz nach Mitternacht nach Hause bringen und hoffe, dass Sie nicht wie ich am Montag früh aus den Federn müssen.
Im Ernst, Daphne, ich fände es großartig, wenn du mich morgen Abend begleiten würdest. Falls du nicht willst oder kannst, verstehe ich das natürlich. Vielleicht sind ein Abendessen und ein Kinobesuch an einem anderen Tag mehr in deinem Sinne.
Von Herzen,
Fitz
Es war sinnlos, darauf zu hoffen, dass Benny falschlag. Ich musste akzeptieren, dass Fitz zwar furchtbar nett wirkte, aber in kriminelle, wenn nicht gar teuflische Machenschaften verstrickt war. Ich konnte mir zwar beim besten Willen nicht vorstellen, dass Fitz mit Susto dealte, aber er wäre schließlich nicht der Erste, der hinter einer Maske eine geheime Identität verbarg. Ich selbst war der beste Beweis dafür. Doch unabhängig von meinen persönlichen Gefühlen hatte ich einen Job zu erledigen, also klickte ich auf den
Antwort
-Button und schrieb:
Lieber Fitz,
ich habe meinen Arbeitsplan abgesprochen und morgen frei. Ich erwarte dich also morgen Abend um sechs (Adresse und Telefonnummer siehe unten). Die späte Rückkehr ist kein Problem für mich, solange ich noch vor dem Morgengrauen wieder hier bin. Noch einmal vielen Dank für dein Verständnis vorhin sowie für das ungewöhnliche Abendessen. Auf dass du immer mein edler Ritter bleiben wirst.
Lady Daphne
Nachdem ich auf
Senden
geklickt hatte, fuhr ich den Computer runter und ging in die Ecke meiner Wohnung, in der ich für gewöhnlich meditierte. Die Gedanken schossen durch meinen Schädel wie Maschinengewehrfeuer, und ich musste unbedingt ein wenig zur Ruhe kommen. Ich setzte mich in die Lotus-Position und leerte meinen Kopf, befreite mich von den
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