Traumgirl auf Hawaii
Hand gehalten, während sie hoch oben auf dem Berg im warmen Sonnenlicht standen, das zwischen den Blättern der Bäume hindurch schien. “Fühlst du das
mana,
die Kraft? Siehst du, dass die Heilpflanzen, mit denen man harmlosere Krankheiten behandelt, nahe dem Gipfel angepflanzt sind, wo sie am leichtesten zu ernten sind? Je ernster die Krankheit ist, desto mehr muss ein
kahuna
riskieren. Dieser Weg ist nicht leicht zu nehmen. Er ist so heilig, dass niemand mehr übrig ist, der das Recht hat, sich
kahuna
zu nennen. Zu viele der alten Geheimnisse sind verloren, meine kleine Malama. Aber die Gaben warten hier, wo sie zurückgelassen wurden, auf einen besonderen Menschen, der sie wieder entdeckt.”
Ein besonderer Mensch wie Lilly, deren zweiter Vorname “die Fürsorgliche” bedeutete. Doch Lilly war auf diesen Bergpfaden nur mit ihrer Großmutter gegangen. Als sie die Chance bekam, die Magie wiederzuentdecken, war sie nach Kansas geflohen.
Sie war davongelaufen, weil sie dort oben auf dem Berggipfel vor all den Jahren tatsächlich die geheimnisvolle Kraft gespürt hatte. Sie hatte die Geister flüstern hören und Schatten gesehen, die sie sich nie hatte erklären können. Der Ort hatte zu ihr gesprochen, lockend wie eine Sirene auf einer Klippe, und es hatte ihr Angst gemacht.
Es machte ihr noch immer Angst. Aber jetzt war sie wenigstens zu dem Kompromiss gelangt, ihre Fähigkeiten zu nutzen, um Heilkunst und Magie ihrer Ahnen zu erforschen. Immerhin wurde sie dadurch mit den Vorfahren ihrer Mutter bekannt, wenn auch nur durch die Bücher. Und vielleicht würde sie sich bald besser fühlen, wenn sie Tutu Marys knotige Hand in ihre nahm und zum Rand des alten Berghanges ging.
“Was summst du da?”
Erschrocken sah sie von den Salben und Verbänden auf, die sie für Ethan vorbereitet hatte. “Tut mir leid. Ich wollte dich nicht aufwecken.”
Er lächelte verschlafen. “Hast du nicht. Obwohl ich, als ich dich sah, eine Minute brauchte, um mich zu erinnern, wo ich bin. Ist das ein Kleid?”
“Ja, ein hawaiisches Wickelkleid. Es ist bequemer, als ständig zu versuchen, deine zu großen Shorts festzuhalten.”
“Und ich wette, es ist auch hübscher.”
Lilly schaute auf die ausgeblichenen roten und blauen Blumen auf dem formlosen Kleid. “Was immer du auch sonst sein magst”, sagte sie, “ein Optimist bist du ganz sicher.”
“Gehört das Lied zum Kleid?”
“Es war eine Segnung”, gestand sie ein wenig verlegen. “Zur Heilung.”
Fast wäre sie zurückgeschreckt, als Ethan die Hand nach ihr ausstreckte. “Es ist wunderschön.”
Sie konnte ihm noch immer nicht ins Gesicht sehen. “Ich habe einige Kräuterarzneien, die dir helfen könnten. Aber dazu müssen wir dir noch einmal die Hose ausziehen.”
“Wieso können wir sie nicht einfach aufschneiden?”, wollte er wissen. “So schnell müssen wir ja bestimmt nicht auf eine Veranstaltung, bei der elegante Kleidung erwartet wird, oder?”
“Nein.” Sie versuchte zu lächeln. “Natürlich nicht.”
“Was ist los, Lilly? Du hast mich schon in Unterwäsche gesehen. Das kann es also nicht sein, weswegen du dich so unwohl fühlst. Also, was hast du?”
Fast hätte sie laut gelacht. “In fünfundzwanzig Worten oder weniger?”
“In so vielen, wie du willst.”
“Was soll schon sein? Es ist ein herrlicher Tag, wir sind im Paradies und haben so viel Früchte zu essen, wie wir wollen. Nur sind uns leider auch Kidnapper auf den Fersen, dein Gesicht ist übel zugerichtet, und ich bin seit zwei Tagen nicht bei der Arbeit, was meinem Boss gar nicht passen wird. Ohne die dritte Hula-Tänzerin von hinten ist es auch schwer …”
Sie versuchte, ihre Hand zurückzuziehen, doch Ethan ließ sie nicht los. “Du bist nicht wirklich Tänzerin.”
Lilly zog, doch vergeblich. “Und ob ich das bin. Sechs Tage die Woche für jeden Tourist auf Waikiki mit einer Kamera. Das tun Bibliothekarinnen ohne Bibliothek hier. Natürlich arbeite ich in einer streng traditionellen Gruppe, was gut ist, weil ich so wenigstens kein blaues Flitterröckchen tragen oder eine polynesische Göttin darstellen muss.”
“Du musst nur Leuten in Polyesterhemden und mit Videokameras heilige Musik darbieten.”
“Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt für eine Diskussion über die Vor- und Nachteile des Tourismus.”
“Aber dieser Ort macht dich traurig, und ich dachte, du liebst ihn. Ich nehme an, das hat mit den Touristen zu tun.”
Lilly gelang es, ihre Hand aus seiner
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