Traumhaft verliebt - Roman
dir das nun bewusst ist oder nicht. Es ist ein Dauerbrenner, und selbst wenn du jetzt schon bis ins hohe Alter von den Tantiemen leben kannst, schießen die Verkaufszahlen jedes Jahr zu den Weihnachtsfeiertagen in die Höhe. Folgerichtig ist das die perfekte Zeit für eine Lesereise.«
Er klang immer so vernünftig, dass er sie ungewollt dazu brachte, sich neurotisch zu fühlen.
»Ich ziehe Manhattan im Dezember vor«, sagte sie.
Jetzt war es Oktober, und die Blätter an den Bäumen im Central Park, die Sarah von diesem Winkel ihres rotbraunen Sandsteinhauses in der Upper West Side aus sehen konnte, loderten in herbstlichen Farben.
»Du bist bloß querköpfig«, stellte Benny fest.
»Ja, ja, das bin ich. Ist das nicht mein Privileg als temperamentvolle Künstlerin?«
»Und ist es nicht mein Job, dir zu sagen, was für deine Karriere als temperamentvolle Künstlerin das Beste ist?«
Sarah seufzte, lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und streckte die Hand aus. Den Brief zu lesen hätte einen Vorteil: Es würde ihre Gedanken von der Tatsache ablenken, dass sie mit dem Manuskript, an dem sie gerade arbeitete, absolut nicht weiterkam. Wenn sie es denn überhaupt ein Manuskript nennen konnte.
In den vergangenen sechs Wochen hatte sie die Eingangsszene genau siebenundachtzigmal von Grund auf umgeschrieben. Nicht dass sie mitzählte. »Lass mal sehen.«
Bennys Grinsen wurde breiter. Besserwisser. Er wusste, dass er sie an der Angel hatte. Er schlenderte über den Hartholzfußboden auf sie zu, drückte ihr den Brief in ihre ausgestreckte Hand, dann zog er ein makelloses Taschentuch aus seiner Brusttasche. »Glaub mir, du wirst es brauchen.«
»Offenbar denkst du, du würdest mich so leicht rumkriegen.«
Benny zwinkerte. »Du machst mir nichts vor, Sadie Cool. Tief im Herzen bist du weich wie ein Marshmallow.«
Sadie Cool war ihr Pseudonym. Sie hatte es vor drei Jahren auf Bennys Rat hin angenommen, nachdem er sie angerufen und ihr mitgeteilt hatte, sie sei eine brillante Geschichtenerzählerin, die er vom Fleck weg unter Vertrag nehmen wolle. Zum Entsetzen ihrer Eltern hatte sie auf dem College Englisch im Hauptfach belegt und im Rahmen ihrer Abschlussarbeit die Geschichte Das magische Weihnachtsplätzchen geschrieben. Ihr Professor im Fach Kreatives Schreiben an der Southern Methodist University hatte das Manuskript ohne ihr Wissen an Benny weitergeleitet, so begeistert war er davon gewesen, und Bennys überschwänglicher Anruf war für sie aus heiterem Himmel gekommen.
Sarah hatte nie vorgehabt, Kinderbuchautorin zu werden. Nach ihrem demütigenden Erlebnis an jenem Weihnachtstag in der presbyterianischen Kirche von Twilight hatte sie angefangen zu schreiben, um einen Weg zu finden, mit ihrer Enttäuschung zurechtzukommen und ihr eigenes beschämendes Benehmen zu verstehen. Sie war ein junges, in ein Märchen verliebtes Mädchen gewesen, und selbst wenn sie am eigenen Leib hatte erfahren müssen, dass es keine Märchen gab, war sie doch nicht bereit gewesen, ihren Traum aufzugeben. Obwohl es für sie im echten Leben kein »Und sie lebten glücklich miteinander bis ans Ende ihrer Tage« gegeben hatte, hatte sie diesen Zauber zwischen die Seiten ihres Buches legen können.
Benny hatte die Geschichte gegen einen bescheidenen Vorschuss an einen großen Verleger verkauft, der sich nicht viel von dem Büchlein erwartete und keine große Mühe hineininvestierte. Zu jener Zeit war sie nicht mehr als eine Newcomerin gewesen, die ungeduldig auf die Veröffentlichung ihres ersten Buches wartete. Dann war es Benny irgendwie gelungen, einem Hollywood-Produzenten ein Leseexemplar zukommen zu lassen, und das Nächste, das sie erfuhr, war, dass er die Filmrechte verkauft hatte. Der Wirbel um die verkauften Filmrechte führte dazu, dass das Buch mit großem Tamtam erschien, mit Kritiken überhäuft wurde und verschiedene Preise gewann. Schon bald hatte es Kultstatus wie der computeranimierte Kinderfilm Der Polarexpress erreicht, der auf der Geschichte des Kinderbuchautors Chris Van Allsburg basierte. Im ganzen Land veranstalteten die Buchhandlungen Event-Lesungen, und Sadie Cool wurde im zarten Alter von zweiundzwanzig Jahren über Nacht zum Star.
Jetzt, ein Jahr und zehn Monate nach dem Erscheinen von Das magische Weihnachtsplätzchen verlangte der Verleger ein zweites Buch, doch Sarah steckte mitten in einer Schreibblockade. Der Druck, ihren eigenen Erfolg zu übertreffen, war erschlagend, und zu allem Überfluss fragten
Weitere Kostenlose Bücher