Traumjäger (German Edition)
liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten. Doch das hätte mir der Traumlose neben mir wohl übel genommen. Noch immer bekomme ich eine Gänsehaut, wenn ich nur daran denke. Ich fürchte, ich werde Sorguls Stimme nie wieder vergessen können. Sie hat sich in meine Erinnerungen auf ewig eingebrannt.
Sorguls Stimme konnte Stein zerschneiden. Sie war scharf. Genauso scharf wie sein Auge, und dabei eiskalt!
„Bürger des Landes ohne Träume, Traumlose, meine treuen Diener und Knechte! Willkommen!“
Die Stille wurde durchbrochen durch das Gejubel und Gejohle der hunderten, tausenden Traumlosen, die ihren Herrscher feierten. Die Menge tobte.
„Willkommen!“, zischte Sorgul unbeeindruckt weiter. „Es freut mich, dass ihr alle dem Ruf eures Herrn gefolgt seid. Ja, ich habe euch gerufen. Denn heute ist ein besonderer Tag für uns Traumlose! Ein denkwürdiger Tag! Noch lange werdet ihr ihn in Erinnerung behalten, das verspreche ich euch! Heute, meine treuen Diener und Knechte, heute wird der letzte Traum geträumt. In wenigen Augenblicken gehört die Welt uns.“
Ein Raunen ging durch die Menge. „Der letzte Traum!...“ „Habt ihr gehört...!“ „Ein denkwürdiger Tag...!“ „Die ganze Welt…!“
„Ruhe, meine Traumlosen! Ruhe! Habt ein wenig Geduld!“ Sorgul ließ die Arme sinken und ließ sich elegant auf den großen Thron nieder.
Die ganze Zeit hatte ich Tom nicht aus den Augen gelassen. Er stand, an jeder Seite einen Traumlosen, auf einer Treppenstufe. Auf einen Wink des dunklen Herrschers führten ihn die beiden Wächter herbei.
„Wie nett von euch, dass ihr mich an eurer kleinen Party teilhaben lasst!“, hörte ich Tom spötteln. Er wehrte sich heftig gegen die harten Griffe der Traumlosen. Er machte ihnen ganz schön zu schaffen, das konnte ich sehen.
„Nur der Service ist leider gar nicht gut.“, fuhr er fort. „Ich warte nun schon seit Stunden auf ein Glas Wasser!“
„Halt den Mund!“, zischten die beiden ihn an, während sie ihn unsanft zu Sorguls Thron stießen. Tom versuchte locker zu bleiben, doch die Furcht stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Der Ernst der Lage war zu groß, als dass man ihm mit Witz und Spott beikommen konnte.
Nicht nur ich sah das, auch Sorgul erkannte es. Mit einem überlegenen Lächeln auf dem aschgrauen Gesicht hieß er seine Knechte, Tom auf den Stuhl neben dem Thron zu setzen.
„Ah, ein Gespräch mit dem Gastgeber. Sehr schön, dann kann ich mich gleich an der richtigen Stelle beschweren!“ Tom räkelte sich auf dem unbequemen Stuhl. Er bewies so viel Mut! Ich musste ihn einfach bewundern!
Sorgul beugte sich weit zu Tom hinüber. Nur undeutlich konnte ich verstehen, was er sagte: „Wir haben nicht denselben Humor, alter Mann. Dir wird dein Lachen noch früh genug vergehen. Aber du wirst sehen, auch ich bin nicht vollkommen humorlos! Pass gut auf!“
Dann richtete er das Wort wieder an die wartende Menge, die mit großer Ungeduld und Aufmerksamkeit das Spektakel verfolgte.
„Ich weiß, ihr wartet seit langem auf diesen Moment. Doch glaubt mir, keiner von euch wartet schon so lange darauf wie ich. Lasst ihn uns ein wenig genießen.“
Er griff mit seiner Hand in den dunklen Umhang und zog etwas Kleines heraus. An einer dünnen, fein geschmiedeten Kette hing eine goldene Uhr. Selbst in der Dunkelheit vermochte sie noch schön zu glänzen. Sorgul ließ sie spielerisch an seinem ausgestreckten Finger baumeln. Ausrufe des Erstaunens drangen aus der Zuschauerkulisse. Wieder ging ein Raunen durch die Menge. Mir blieb nicht verborgen, wie Toms Gesicht bei dem Anblick der einen Uhr in den Händen des Feindes blass wurde. Und auch mir wurde es schlagartig bewusst: Gleich würde es keine Träume mehr geben. Gleich würden wir alle Traumlose sein, Knechte Sorguls, des grausamen Herrschers der Dunkelheit! Noch war es nicht zu spät, doch das Unvermeidliche würde kommen.
Sorgul richtete das Wort wieder an seine Gefolgschaft: „Das, treue Diener, ist die eine Uhr! Die Uhr der Traumhüter! Nun gehört sie uns.“
Sorgul hielt sie sich ans Ohr, und sein Gesicht verzog sich zu einer schrecklichen Grimasse.
„Die Uhr tickt! – Nun“, sein Tonfall wurde wieder ernst, „gleich wird sie es nicht mehr tun!“
Wieder jubelten die Traumlosen ihrem Fürsten zu und warfen bewundernde Worte auf die Tribüne.
„Das hier“, Sorgul wies auf Tom, während die Traumlosen ihn vom Stuhl hochzogen. „Das hier ist meine Überraschung für euch. Meine treuesten
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