Traumjäger (German Edition)
einem der riesigen Wachtürme stand.
Hier richtete ich mich wieder auf. Ich spürte einige missgünstige Blicke derer, die nun hinter mir standen, doch ich achtete nicht darauf. Der Anblick einer gewaltigen Treppe nahm mich nun gefangen. Unzählige Stufen führten hinauf zu einem hohen Torbogen aus schwarzem Stein, der als Eingang zu der dunklen Burg diente. Die Treppe war unterteilt in drei Abschnitte. Immer auf eine bestimmte Anzahl von Stufen folgte eine ebene, breite Fläche, die zu weiteren Stufen führte. An den Seitengeländern waren Fackeln angebracht worden, die zuckendes, rotes Licht auf die Stufen warfen.
Auf der untersten Ebene, ganz zentriert, stand ein gewaltiger Thron. Ganz schwarz war die Sitzfläche, schwarz wie Samt. An den Enden der breiten Armlehnen waren dunkel glänzende, große Steine angebrachte worden. Aus der hohen Rückenlehne ragten spitze, silberne Zacken wie die Strahlen einer erloschenen Sonne gefährlich empor. Es war unverkennbar Sorguls Thron, der Thron des dunklen Herrschers. Neben ihm stand ein schlichter Stuhl, der allem Anschein nach sehr unbequem war.
Zwei Traumlose liefen die Treppenstufen hinauf und trugen ein kleines Tischchen herbei, das sie vor den düsteren Thron stellten. Seine Beine waren aus schwarzem, hartem Holz geschnitzt, und die Fläche bestand aus dunklem Marmor.
Hoch oben auf den Wachtürmen beobachteten Traumlose das hektische Treiben tief unten auf dem Felsenplatz. Ich sah, wie sie die Trompeten an ihre Münder hoben. Ein letztes Mal tönte der schellende, ohrenbetäubende Klang durch die Dunkelheit.
Dann wurde alles still. Das Zischen und Gemurmel der Traumlosen hörte abrupt auf. Es wurde so still, dass ich mein pochendes Herz schlagen hörte. Ich betete, dass nur ich es hören konnte. Mit zagem Blick auf die dunkle Gestalt neben mir verschaffte ich mir Gewissheit. Sie beachtete mich nicht. Alle grauen Gesichter blickten allein zu der Treppe. Und nun sah ich, weshalb: Oben am Torbogen erschien eine Gestalt. Sie breitete die Arme weit aus und rief mit eisiger Stimme:
„Bürger des Landes ohne Träume, Traumlose, Knechte der Finsternis. Begrüßt euren Herrn! Sorgul – den Herrscher der Dunkelheit!“
Damit trat der Sprecher einen Schritt beiseite und machte Platz für einen unheimlich großen Mann. Die Traumlosen erstarrten in Ehrfurcht. In meinen schlimmsten Träumen, so hatte ich mir Sorgul nicht vorgestellt.
Der dunkle Herrscher war ganz in einen edlen, schwarzen Umhang gehüllt. Eine silbrig gezackte Krone saß auf seinem schulterlangen, schwarzen Haar. Das Gesicht zeigte keinerlei Regung, seine Augen waren blank. Diese Augen kannten kein Mitleid. Sie kannten weder Freude, noch Hoffnung, und sie kannten keine Träume. Nein, niemals hatten diese Augen etwas Schönes gesehen, doch ergötzten sie sich am Anblick der Dunkelheit und des Schreckens.
Sorgul ließ mich erschaudern und ich vergaß zu atmen.
Und hinter ihm! Da waren drei Gestalten!
Ich erkannte die beiden Traumlosen sofort wieder. Es waren dieselben Männer, die in dem Häuschen gewesen waren. Nie werde ich ihre fahlen Gesichter vergessen! Und in der Mitte, zwischen ihnen, da stand Tom. Mein Tom!
Ich biss mir auf die Lippen, um nicht laut seinen Namen zu rufen. Ich widerstand der Versuchung, die Treppen hoch zu rennen und zu Tom zu laufen. Ich bin hier Tom, hier unten. Du hast einen Freund in dieser finsteren, Träume verabscheuenden Menge! Ich bin hier, siehst du mich?
Tom sah mich nicht, und kein Ton entwich meinen Lippen.
Der dunkle Herrscher lief langsam, bedacht und geschmeidig wie eine Katze die Stufen hinunter. Ihm folgten die beiden Traumlosen, die Tom zwischen sich führten.
Auf der untersten Ebene blieben sie stehen. Noch immer war es unerträglich still. Sorgul blickte mit stechendscharfen Augen schweigend und prüfend in die Reihen, in die Gesichter seiner Untertanen. Um seinem Blick zu entgehen – ich hätte ihn nicht ertragen können –, bückte ich mich rasch, und tat so, als würde ich mir meinen Schuh zubinden. Der Traumlose neben mir stieß mich unsanft in die Seite.
„Zeig gefälligst mehr Respekt vor dem dunklen Herrscher!“, fuhr er mich entrüstet an. Doch ich hatte es geschafft: Sorguls alles durchdringende Auge zog an mir vorbei.
Nach einem unerträglich langen Moment breitete Sorgul die Arme weit aus, den schmalen Mund zu einem bösen Lächeln verzogen. Wie eine Krähe mit gespreizten Flügeln stand er vor seinem Thron. Dann begann er zu sprechen.
Am
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