Traumjäger (German Edition)
Hand bemerkte. Ich zögerte einen kurzen Moment, doch dann faltete ich es hastig auseinander. Es war ein Brief! Mit feingliedriger, schwungvoller, aber sehr ordentlicher Handschrift stand in silbrig glänzenden Buchstaben geschrieben:
„Lieber Andreas,
es ist nicht meine Art, fremde Träume so rücksichtslos zu stören. Doch ich denke, es wird höchste Zeit, dass wir uns kennenlernen. Deshalb lade ich dich ganz herzlich ein, mich heute um Mitternacht zu besuchen.
Mit den freundlichsten Grüßen,
Tom
PS: Du weißt ja, wie du mich findest!“
Kapitel 6
Tom
I mmer wieder las ich den Zettel mit der Nachricht, während ich in meinem Zimmer auf und ab ging.
Wer war Tom? Woher kannte er meinen Namen? Warum schrieb er mir? Wieso sollten wir uns kennen lernen? Und vor allem: Woher sollte ich wissen, wie ich Tom finde? Ich kannte keinen Tom!
So viele Fragen auf einmal schossen mir durch den Kopf, und ich kannte nicht eine einzige Antwort! Seufzend ließ ich mich wieder auf mein Bett fallen.
„Heute um Mitternacht…“, flüsterte ich. Schnell warf ich einen Blick auf die Uhr. Es war zwei Minuten vor Zwölf. Ausgeschlossen. Selbst wenn ich gewusst hätte, wie ich zu Tom gelangen konnte, die Zeit hätte überhaupt nicht ausgereicht, um rechtzeitig bei ihm zu sein. Es hatte keinen Zweck, weiter darüber nachzudenken. Ich beschloss, am nächsten Tag der Sache auf den Grund zu gehen. Wie, das wusste ich noch nicht. Aber irgendetwas würde mir schon einfallen. Gähnend kuschelte ich mich wieder in die Decke. Für diesen Tag hatte ich genug der Aufregung. So viele sonderbare Ereignisse auf einmal machten müde, so spannend sie auch sein mochten. Und glaubt mir, ich war wirklich müde…
***
Der große Schreibtisch aus dunklem, schwerem Holz fiel mir als erstes ins Auge. Merkwürdige Dinge standen darauf. Dinge, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Aus einem kleinen Gefäß, das aussah wie ein Tintenfass, quirlte zarter Rauch heraus, der sich sanft über den Tisch ausbreitete und alles in durchsichtigen Nebel hüllte. Mit dem Rücken zum Schreibtisch stand ein großer, gemütlicher Lehnstuhl. Sein Bezug schien aus dunkelblauem Samt zu sein.
Eine dunkle, warme Stimme brachte mich davon ab, mich weiter in dem fremden Zimmer umzusehen.
„Es freut mich, dass du Zeit gefunden hast vorbeizuschauen, Andreas!“
Der wuchtige Lehnstuhl drehte sich in meine Richtung. Verwunderter hätte ich den alten Mann aus dem Stadtpark mit Sicherheit nicht anschauen können. Ja, es war tatsächlich der alte Mann, der mir immer zunickte, wenn ich durch den Park lief. Und nun lächelte er mich freundlich aus dem mächtigen Stuhl heraus an.
„Ich bin Tom, wie du dir sicherlich schon gedacht hast.“, sagte er. Ich nickte sprachlos und griff seine große Hand, die er mir zur Begrüßung reichte. (Der Ehrlichkeit halber will ich zugeben, dass ich mir in diesem Augenblick noch gar nichts gedacht hatte. Die Überraschung war einfach zu groß. Niemals auch nur in meinen kühnsten Träumen hätte ich den alten Mann von der Parkbank hier erwartet!)
„Aber was bin ich nur für ein schlechter Gastgeber…“, fuhr der Mann fort. „Ich habe nicht so oft Besuch, weißt du. Hab deshalb ein bisschen Nachsehen mit mir. Hier, bitte setz dich doch, Andreas!“
Er wies auf einen Sessel, der etwas kleiner als sein Lehnstuhl, aber mit demselben dunkelblauen, weichen Samt bezogen war. „Andy“, stammelte ich, „Sie können Andy zu mir sagen. Das mag ich lieber.“ „Gut, Andy. Dann nenn mich Tom.“
Verlegen griff ich in die halbleere Keksdose, die Tom mir reichte. Er strahlte, als ich einen Schokoladenkeks mit weißen Kokosstreuseln obendrauf herausfischte. „Ah – das sind die Besten!“, zwinkerte er mir zu. Er selbst griff auch in die Dose, suchte lange und fand schließlich auch einen Keks von der gleichen Sorte.
„Du wunderst dich bestimmt, warum ich dich hergebeten habe, nicht wahr?“, fragte er mich, während er genüsslich an dem Keks kaute.
„Ja, das auch. Aber im Moment frage ich mich viel mehr, wie ich überhaupt hierher gekommen bin! Bin ich denn überhaupt rechtzeitig?“, platzte ich heraus. Ich konnte es kaum glauben. Sollte ich tatsächlich einen Weg zu Tom gefunden haben? „Oh, ja, ja… du bist pünktlich, keine Sorge. Sehr pünktlich sogar. Und das ist gut! Pünktlichkeit ist überaus wichtig in dem Beruf!“
Beruf?
„Aber deine Frage kannst du dir bestimmt selber beantworten. Ja, Andy, was glaubst du denn,
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