Traumjäger (German Edition)
irgendetwas in den vielen Schubladen des großen Schreibtischs. „Ah, hier ist sie.“ Er zog eine Schere hervor, und begann sehr umständlich das Zeitungsbild auszuschneiden.
„Wie ich schon sagte, Andy. Du bist unvorsichtig geworden.“ Er seufzte. „Das mit den Träumen ist eine wunderbare Sache. Besonders so, wie wir sie erfahren dürfen. Doch so wunderbar Träume sind, so gefährlich sind sie auch. Vergiss das nie: Träume verlocken dich, verführen dich, nehmen dich gefangen. Wenn du nicht aufpasst, wenn du nicht lernst, sie zu kontrollieren, entwickeln sie schnell eine Eigendynamik und kontrollieren dann dich! Dann bist du ihnen hilflos ausgeliefert, und sie machen mit dir, was sie wollen.“
Verwundert blickte ich in sein ernstes Gesicht. „So etwas“, Tom wies auf das Zeitungsbild, das er jetzt fein säuberlich in einen dunklen Fotorahmen legte, „So etwas darf nicht vorkommen!“ „Entschuldigung.“, sagte ich leise.
„Kein Grund, eine Trauermine aufzusetzen.“, heiterte Tom mich schnell auf. Er lief zu der Wand hinter dem großen Schreibtisch und suchte nach einem geeigneten Platz, um das Bild mit dem roten Kreis, der meinen Kopf markierte, aufzuhängen. Erst jetzt fiel mir auf, dass fast die ganze Wand von Bilderrahmen mit Zeitungsausschnitten verdeckt war. Neugierig trat ich näher. Dann lächelte ich erleichtert. Jedes Bild wies denselben roten Filzstiftkreis auf, und aus jedem dieser roten Kreise lachte, manchmal größer, manchmal kleiner, ein fröhlicher Tom heraus. Und jetzt hing auch mein Bild in dieser komischen Sammlung! Ja, ich gebe es zu: obwohl ich mir genau einprägte, was Tom mich über Träume lehrte, konnte ich doch nicht verhindern, dass ich ein wenig stolz darauf war.
Tom legte mir freundschaftlich seine Hand auf die Schulter. „Wie du siehst, du bist in guter Gesellschaft. Es passiert auch den Besten!“
Dann erzählte mir Tom einige lustige Geschichten zu den Zeitungsausschnitten. Und eh wir uns versahen, waren wir Freunde geworden.
„Was sind das hier für Sachen auf deinem Tisch, Tom?“ Ich zeigte auf die verschiedenen, eigenartigen Dinge. Tom schmunzelte. „Das sind meine… sagen wir mal, das sind meine Souvenirs. Manchmal bringe ich mir etwas aus den Träumen mit, wenn es mir besonders gut gefällt. Aber nur dann, wenn es wirklich niemandem auffällt, dass es fehlt.“ Er nahm das kleine rauchende Tintenfässchen und strich sanft mit dem Finger über das schwarze Porzellan, das mit bunten Blüten verziert war. „Das hier habe ich aus einem besonderen Traum. Ich habe es auf einem arabischen Bazar entdeckt und konnte nicht widerstehen. Warst du schon einmal auf einem Bazar?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Dann musst du dich irgendwann einmal dahin träumen. Es ist so bunt und laut dort, es duftet nach Kräutern, nach Zimt, Vanille… Es wird dir gefallen! Sehr lange habe ich für dieses Stück gefeilscht. Aber das war es wert. Es steckt so viel Magie darin!“ „Magie?“ flüsterte ich. Tom nickte.
„Oh, fast hätte ich es vergessen. Ich habe ja etwas Neues!“ Er griff in seine Hosentasche und stellte eine kleine Holzschnitzerei auf den Tisch. Als ich sie mir näher ansah, konnte ich ein kleines Kolosseum erkennen. „Du – du warst auch bei dem Gladiatoren-Fest?“, fragte ich verblüfft.
Tom hob verschmitzt die Schultern. „Ja natürlich! Ich liebe solche Veranstaltungen! Die Versuchung war einfach zu groß. Zumindest habe ich es vermeiden können, in die Zeitung zu kommen.“ Er tippte mir freundschaftlich auf die Nasenspitze. Wir mussten beide lachen. Wir redeten noch einige Zeit, doch schließlich sagte Tom: „Es ist spät geworden. Du solltest jetzt lieber nach Hause gehen. Komm doch morgen wieder. Um Mitternacht.“ Er zwinkerte mir zu. „Du weißt ja, wie du mich findest!“
Kapitel 7
Von der Kunst des Träumens
W ie lang kann ein Tag sein? Wie lang kann ein einziger Tag sein, wenn man so sehnsüchtig auf die Nacht wartet!
Meine Gedanken waren bei Tom, als ich meiner Mutter half, die Blätter von der Straße zu fegen. Meine Gedanken waren bei Tom, als meine Familie gemeinsam zu Mittag aß. Meine Gedanken waren bei Tom, als mein Vater am späten Nachmittag mit meinem kleinen, graugrünen Koffer in mein Zimmer kam und mich daran erinnerte zu packen.
Richtig! Am nächsten Tag würden wir ans Meer fahren! So wie es meine Familie jedes Jahr in den Herbstferien tat. Ja, seit ich denken kann, fahren wir im Herbst ans Meer. Nicht zum Schwimmen
Weitere Kostenlose Bücher