Traumjäger (German Edition)
etwa – dafür ist die See im Norden viel zu kalt und viel zu grau. Zum Wandern auf den Deichen, zwischen den Schafen, gegen den Wind.
Wie freute ich mich jedes Jahr auf diesen Urlaub! Ich liebte die stürmische, raue Seite des Meeres. Ich liebte es, am Wasser zu stehen, wenn die Wellen sich donnernd am Steinufer brachen, sodass die weiße Gischt bis zu uns hinaufspritzte! Es war großartig, wenn der Wind mein Gesicht rötete und so heftig blies, dass ich mich gegen ihn lehnen musste, um nicht weggeweht zu werden!
Während der letzten Tage hatte ich unseren Urlaub vergessen, weil sich merkwürdige Dinge ereignet hatten. Dinge, die mir neue, spannende, erschreckend geheimnisvolle Möglichkeiten eröffneten.
Nun sollte ich packen. Unschlüssig stand ich vor meinem Schrank. Ich zog ein paar Pullover und ein paar Hosen heraus und legte sie in den Koffer, der gähnend in der Ecke wartete. Zuletzt stopfte ich Unterwäsche und dicke Socken in die frei gebliebenen Lücken und ließ das Kofferschloss zuschnappen. Mit gemischten Gefühlen setzte ich mich auf mein Bett. Natürlich freute ich mich auf die Woche am Meer. Doch ich hatte so viele brennende Fragen an Tom. Fragen zum Träumen. Und wenn man so viele brennende Fragen hat, dann weiß man nicht, ob man es aushält, eine ganze Woche auf Antworten zu warten. Natürlich würde ich Tom um Mitternacht treffen, aber ich bezweifelte, dass die Zeit ausreichen würde, um meine Neugierde vollends zu stillen. Vielleicht würde keine Zeit der Welt dafür ausreichen!
Ich bin ein Träumer. Und was für einer! Immer wieder wiederholte ich in Gedanken diese Sätze, bis ich lächelnd auf dem Bett einschlief.
***
„Hallo Andy! Schön, dich wieder zu sehen!“ Tom stand vor einem großen Bücherschrank und wischte mit einer flauschigen Straußenfeder den Staub von den runden Buchrücken. „Hallo Tom!“, rief ich freudig und trat hinzu. Fasziniert betrachtete ich die wedelnde Handbewegung meines neuen Freundes, der gerade ein abgegriffenes Exemplar von Der geheime Garten von einer Staubschicht befreite.
Alles, was Tom tat, wirkte auf mich würdevoll und edel. Selbst das Staubwischen! Das hört sich jetzt bestimmt merkwürdig an, aber ich glaube, jeder der Tom kennt, weiß wovon ich spreche. Er ist einfach besonders! Vielleicht kommt es daher, weil er immer lächelt, und allem, womit er sich gerade beschäftigt, seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt. Und die hatte ich jetzt.
„Sind das alles deine Bücher?“, flüsterte ich und strich behutsam über den Einband eines besonders schönen Exemplars von Die Brüder Löwenherz . Es hat mich nie gewundert, dass Tom hauptsächlich Kinderbücher hatte. Es passte einfach gut zu ihm, und ich mochte ihn dadurch, falls möglich, noch mehr.
Tom nickte stolz. „Ja, das sind alles meine Bücher. Das hier ist nur ein kleiner Teil von meiner Sammlung. In diesem Schrank bewahre ich nur meine wertvollsten Bücher auf.“
Er musste meinen kritischen Blick bemerkt haben, der einige abgeschliffene Buchecken traf. Ich weiß auch nicht, warum mir so etwas immer auffällt. Doch bei Eselsohren verspüre ich stets dieses Kribbeln in den Fingern, sodass ich sie unbedingt glätten möchte. Dabei bin ich sonst gar nicht so ordentlich. Jeder, der einmal einen Blick in meine Schubladen geworfen hat, kann das bezeugen.
Tom lächelte. „Ihr Äußeres mag nicht sehr wertvoll erscheinen. Aber ihr Inneres,“, ein verklärter Ausdruck lag auf seinem Gesicht, „ihr Inneres inspiriert mich zu Träumen. Darin liegt ihr Wert! Diese Bücher haben mir meine schönsten Träume ermöglicht! Ich finde, sie verdienen einen besonderen Platz und besondere Pflege.“
Ja, das verstand ich. Wie oft versank ich beim Lesen in eine neue, fremde Welt! Entdeckte sie, erforschte sie. Und wenn ich ein Buch ein zweites Mal las, hatte ich das vertraute Gefühl, nach Hause zu kommen. Tom strich mir über den Kopf. „Ich sehe, wir sind uns sehr ähnlich.“, bemerkte er erfreut. Wie sehr wünschte ich mir, dass er Recht hatte!
Tom setzte sich wieder auf seinen großen Stuhl. „So, Andy! Bist du bereit für deine erste Unterrichtsstunde?“, fragte er mich plötzlich.
Unterrichtsstunde? Was meinte Tom? Er schien mein ratloses Gesicht falsch zu interpretieren, denn er fügte beschwichtigend hinzu: „Ich weiß, du hast jetzt eigentlich Schulferien. Aber glaub mir, dieser Unterricht hat nichts mit englischer Grammatik oder historischen Daten zu tun! Vielleicht macht er dir
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