Traumjaeger und Goldpfote
nein, du nicht auch noch. Das mit dem anderen ist schon schlimm genug«, rasselte der Krallenwächter, auf Grillenfänger deutend. »Steh auf – lass dich anschauen.« Er untersuchte Raschkralle flüchtig von der Nase bis zum Schwanz. Langzahn warf einen Blick über die Schulter, dann wandte er sich mit verdrießlichem Gesicht an Raschkralle.
»Kratzkralle will, dass ich dich im Auge behalte. Der ganze Hügel ist in Aufruhr, weil unerwartet jemand eingedrungen ist.Diese hirnlose
Me’mre
tut mir jetzt schon leid, wenn sie in unsere Krallen gerät.«
Mit einem Ausdruck einfältiger Freude über das vermutliche Schicksal des Eindringlings ließ Langzahn sich auf dem Boden der Höhle nieder. Raschkralle, obgleich er wieder seine Augen schloss, konnte nicht mehr in seinen beflügelnden Traum zurückkehren. Im Halbschlaf hörte er, dass auf den Gängen außerhalb seines Verlieses reges Leben herrschte.
Traumjäger blickte Greiftatz verständnislos an.
»Was?«, fragte er halb betäubt.
»Jemand aus dem neuen Volk will mit dir sprechen. Frag mich nicht«, sagte Greiftatz und schüttelte den Kopf. »Drüben am Eingangstunnel.«
Greiftatz ging zu seinem Schlafplatz zurück. Beim Strecken spürte Fritti den Schmerz in der Schulter und den nagenden Hunger in seinem Bauch. Er trat so vorsichtig auf, wie seine ermüdeten Beine es zuließen, und bahnte sich seinen Weg durch die Menge schlafender, stöhnender Leiber. In der Nähe der großen Gefängnishöhle, an eine Wand neben dem Eingang gepresst, erblickte er die zusammengekrümmte Gestalt einer kleinen, grauen Katze. Als sich Fritti ihr näherte, hörte er, dass in den höher gelegenen Teilen des Hügels Aufregung herrschte. Die kleine Katze schien zu zittern.
»Mri’fa-o«,
sagte er mit matter Liebenswürdigkeit zu der fremden Katze. »Ich bin Traumjäger. Ich habe gehört, du …« Er brach mitten im Satz ab. Seine Barthaare zuckten. Diese fremde Katze kam ihm sehr bekannt vor, selbst im Halbdunkel. »Dachschatten!«, keuchte er. In seinem Kopf drehte sich alles. War sie die ganze Zeit hier gewesen, hatte sie im Hügel gearbeitet? War sie es wirklich?
»Still!«, zischte die
Fela
.
Noch immer ungläubig beugte er sich vor und beschnüffelteihre Nase, ihre Flanken. Dachschatten! Als er träumerisch zu schnuppern begann, gab sie ihm mit der Pfote einen Klaps auf die Nase. Er richtete sich auf wie ein verlegenes Kätzchen und blickte wie verrückt von der einen Seite zur anderen. Keiner der anderen Gefangenen nahm die geringste Notiz von ihnen. Nichtsdestotrotz beugte er sich so tief hinunter, dass seine Barthaare sich mit denen von Dachschatten mischten, und er begann sie leidenschaftlich zu lecken. Leise, das Maul voller Haare, fragte er: »Wie bist du hierher gekommen?«
»Ich habe gegraben, bis ich in einem Tunnel landete«, sagte sie. Obwohl ihre Stimme gelassen klang, zitterten ihre Flanken.
Es muss furchtbar für sie gewesen sein, dachte er – allein an diesem Ort eine Katze zu suchen unter ungezählten anderen. »Wie, um Tiefklars willen, hast du mich gefunden?«, fragte er sie.
»Wie ich was getan habe? Dich gefunden? Ich weiß es wirklich nicht, Traumjäger, ich wusste bloß, dass ich dich finden musste. Ich kann’s jetzt nicht erklären … Ich kann nicht mal denken … Würdest du damit aufhören?« Ihr Fell sträubte sich, und er hörte auf, es zu säubern.
»Wir haben keine Zeit zu verlieren!«, fuhr sie fort. »Wir müssen sehen, dass wir hier rauskommen – ich glaube, sie suchen nach mir.« Sie stand mit unmerklich zitternden Beinen auf. Traumjäger sagte nichts, sondern erhob sich ebenfalls.
»Ohne Raschkralle können wir nicht fort«, sagte er.
Plötzlich und unerwartet dachte er an Goldpfote – ihretwegen hatte er diese Fahrt angetreten und vor langer Zeit die Mauer des Treffens verlassen. Konnte sie nicht auch irgendwo in diesem Hügel sein? Er dachte an Kaltherz’ scheußlichen Thron. Lebte sie überhaupt noch? Er fühlte sich klein und hilflos.
»Weißt du, wo er gefangen gehalten wird?«, fragte Dachschatten. Er sah sie scharf an. Sie war vollkommen erschöpft, und er war nicht besser dran.
»Raschkralle?«, fragte er. »Nein, ich habe ihn nicht gesehen, seit man uns getrennt hat.« Er schaute besorgt den Tunnel entlang.
»Dann, fürchte ich, haben wir keine Zeit, nach ihm zu suchen«, sagte die graue
Fela
ruhig. »Wir können von Glück sagen, wenn wir selbst hier rauskommen.« Sie setzte sich zum Tunnel in
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