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Traumjaeger und Goldpfote

Traumjaeger und Goldpfote

Titel: Traumjaeger und Goldpfote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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springen?
    Seine Familie! Irgendwo hinter ihm, vom
Feuer
bedroht, waren seine Mutter und seine Geschwister. Sie waren in Gefahr! Jetzt erinnerte er sich.
    Aus dem Rauch vor ihm drang eine Stimme zu ihm herauf. Er starrte in die grauen Wolken hinüber, doch er konnte nichts sehen. Aus dem Inneren der
M’an
-Behausung erhoben sich wieder die schreckerfüllten Stimmen seiner Familie.
    Die Stimme im Rauch rief ihn bei seinem Namen und forderte ihn auf, nach unten in Sicherheit zu springen. Die Stimme hörte sich an, als sei sie die von Grillenfänger oder vielleicht die von Borstenmaul. Er versuchte, der Stimme von seiner Familie zu erzählen – dass sie vom Feuer eingeschlossen und bedroht sei –, doch die Stimme hörte nicht auf zu rufen: Spring hinunter, vergiss deine Familie, lauf, rette dich selbst, lauf!
    Er saß in der Falle! Er musste sich entscheiden. Hinter ihm erklang das angstvolle Jammern seiner Brüder und Schwestern. Borstenmaul – oder war es Grillenfänger – drängte ihn zu springen, zu fliehen, zu rennen. Er konnte sich nicht entscheiden, zu rennen, o Harar! Lauf, lauf, lauf … Mit krampfhaft zuckenden Beinen fiel Traumjäger in die wache Welt zurück.
    Das Licht war sehr hell. Seine Augen schmerzten. Ein gewaltiger Zaun aus riesigen Baumstämmen umstand ihn, weit höher, als sein Auge reichte. Sprünge und Sprünge über seinen Kopf stiegen sie auf, und ihre Äste waren miteinander verschlungen wie die Fäden eines mächtigen borkeumkleideten Spinnennetzes. Dennoch spürte Traumjäger Wärme auf seinem Gesicht. Ein breiter Keil von Sonnenlicht strahlte ungehindert durch ein Fenster in den höchsten Zweigen, wo ein Stück Himmel sich öffnete, und verwandelte das kurze, kitzelnde Gras, in dem Fritti lag, in eine sommerliche Insel, inmitten der uralten Kühle des Waldes.
    Fritti spürte die Empfindlichkeit seiner Pfoten, als er zittrig auf die Pfoten kam. Er ließ sich zurückfallen und untersuchte sie, indem er ihre wunden Stellen mit seiner Zunge abtastete.
    Das Leder seiner Pfotenballen war gesprungen und hatte vermutlich geblutet. Trotzdem war es sorgfältig gereinigt worden, und er konnte keine Steinchen oder Dornen entdecken. Auf der letzten Etappe ihrer Reise nach Erstheim hatte er sich viele davon eingetreten und weder die Kraft noch die Geduld gehabt, sie zu entfernen. Irgendjemand hatte ihn von Kopf bis Schwanz gesäubert.
    Zaungänger. Er hatte ihn hier zurückgelassen und ohne Zweifel auch dafür gesorgt, dass seine Pfoten verarztet wurden. Wo war Zaungänger?
    Noch immer benommen und ein wenig schwerfällig – erst jetzt begann sein Herz nach dem bestürzenden Traum wieder gleichmäßig zu schlagen – blickte Fritti sich um. Keine andereKatze war zu sehen. Die Lichtung in der Mitte der aufragenden Bäume war leer … doch Fritti konnte Stimmen hören. Die Brise trug ihm die Geräusche vieler Katzen zu. Aber sie waren weit genug entfernt, um ihnen einen Hauch von Unwirklichkeit zu verleihen.
    Langsam und vorsichtig setzte sich Traumjäger auf wunden Pfoten in Bewegung, verließ die sonnenhelle Lichtung und folgte den Stimmen.
    Während er unter den ehrwürdigen Bäumen des Wurzelwaldes hintrottete, blickte er in die Höhe und sah dicke, faserige Stränge von Flechten, die sich von Ast zu Ast spannten – an manchen Stellen so dicht, dass sie ein natürliches Dach bildeten. Die Pfade, die sich um die Baumwurzeln zogen, erschienen wie überwölbte, feingesponnene Gänge. Sonnenlicht filterte durch ihre Baldachine, sprenkelte den Grund mit hellen Flecken und verwandelte das Tageslicht in ein mildes, flüssiges Leuchten. Jetzt erblickte er einige aus dem Volk, deren Stimmen von den borkigen Bäumen und der festen Erde des Waldbodens widerhallten. Der Wald wimmelte von Katzen … Es waren mehr, als er in seinem ganzen Leben auf einem Fleck gesehen hatte. Katzen jeder Größe und Art: schreitend, singend, schlafend, redend – eine Welt von Katzen zu Füßen dieser mächtigen, alterslosen Bäume.
    Staunend blickte er auf die unglaubliche Vielfalt, doch keine Katze erwiderte seinen Blick. Nicht eine schien auch nur Notiz von ihm zu nehmen, als er vorüberging. Und wie viele es waren! Hier jagte ein dicker, gescheckter Kater hinter einer krummschwänzigen
Fela
her. Dort umstand eine Menge zwei Kater, die miteinander kämpften. Andere lagen bloß da und schliefen.
    Fritti befand sich auf einem breiten Pfad, eine Furche, von ungezählten Pfoten in den federnden, blättrigen Grund eingetreten.

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