Traumjaeger und Goldpfote
fragte die Königin mit einer Stimme, so kalt und klar wie Flusswasser.
»Gewiss, selbstverständlich, Euer Pelzigkeit«, grunzte Schnurrmurr und eilte zur Vorderseite der Erhöhung. Er kniffseine alten Augen zusammen, spähte in die Dunkelheit des Hohlweges hinaus und trompetete: »Lehnsmann Knarrer von den Erst-Gehern, du kannst nunmehr vor den
Vaka’az’me
treten!«
Der stolze, vielfach gestreifte Jäger, der Fritti zuvor aufgefallen war, erhob und streckte sich und kam mit ruhigen, gelassenen Bewegungen herbei. Am Rand der Erhöhung verharrte er kurz, dann sprang er mühelos hinauf in den Lichtkreis.
»Ein Erst-Geher! Wie Zitterkralle und Balger!«, fiepte Raschkralle aufgeregt. Fritti nickte abwesend, während er Knarrer eingehend betrachtete. Im Licht des Auges, das den Eichensitz einhüllte, zeigte der drahtige Körper des Lehnsmannes unter dem kurzen Fell zahlreiche alte, weißliche Narben. Streifen und Narben vermittelten den Eindruck, als sei sein Körper aus verwittertem Holz geschnitzt.
»Zu Euren Diensten, wie immer, o Königin«, sagte der Erst-Geher und berührte respektvoll den Boden mit seinem Kinn. Sonnenfell streifte ihn mit kühlem, belustigtem Blick. »Wir sehen die Erst-Geher nicht eben häufig hier bei Hof«, sagte sie, »selbst jene nicht, die in der Nähe von Erstheim im Wurzelwald umgehen. Dies ist eine unerwartete Ehre.«
»Mit allem geziemenden Respekt, Eure Hoheit, die Erst-Geher ›gehen nicht um‹ im Wurzelwald.« Knarrer sprach mit rauhbeinigem, aber selbstbewusstem Stolz. »Vielmehr ziehen wir, wie Ihr wisst, die Einsamkeit der Wildnis vor. Der Hof ist für unseren Geschmack ein wenig zu … überfüllt.«
Das Wort »überfüllt« sang er mit einem solch unmerklich verächtlichen Unterton, dass ein Ausdruck frostiger Belustigung in Taupfotes Gesicht erschien. »Wir haben davon gehört, Lehnsmann«, flötete der Prinzgemahl. »Jedoch ist uns zu Ohren gekommen, dass sich die Erst-Geher östlich der Sanftlauf-Hügel zu einem großen Treffen versammeln. Werden deine Kameraden so viel Gesellschaft nicht als ebenso niederdrückend empfinden wie unseren Hof?«
Knarrer sah einen Augenblick finster zu Boden, während die Königin zierlich nieste und ihren Schwanz putzte.
»Das Treffen der Lehnsmänner wird durch dieselben Umstände veranlasst, die mich hierher führen. Der Prinzgemahl versucht, unzweifelhaft aus guten Gründen, die nur Seiner Hoheit bekannt sein dürften, alte Wunden aufzureißen. Indessen will ich mir nicht in den Schwanz kneifen lassen. Hier gilt es ernstere Fragen zu verhandeln.«
Schnurrmurr, der stehen geblieben war, räusperte sich jetzt unbehaglich und nahm in der Nähe von Prinz Zaungänger Platz, der zum ersten Mal in dieser Nacht an den Vorgängen Interesse zeigte.
»Ich wünschte, ihr alle würdet für eine Weile mit der Haarspalterei aufhören«, grollte der Prinz. »Es wäre hübsch, zur Abwechslung einmal von etwas Wichtigerem zu sprechen.«
Königin Sonnenfell sah ihren Sohn sekundenlang scharf an, dann zuckte sie zweimal mit den Ohren und wandte sich Knarrer zu. »Zaungänger mag ja ungestüm und wichtigtuerisch sein, doch diesmal hat er wohl gesprochen. Du musst uns unsere Unhöflichkeit verzeihen, Lehnsmann. Ich sehe, dass das Gewicht deiner Sorgen schwer auf dir lastet, und für unsere Art von Neckerei fehlt dir der Sinn.« Sie schoss einen kalten Blick in Taupfotes Richtung, den der Prinzgemahl herrisch erwiderte. »Sprich weiter, Knarrer, bitte«, sagte die Königin.
Der narbenbedeckte Erst-Geher starrte sie einen Augenblick an, dann beugte er aufs Neue sein Haupt und verharrte so eine Zeitlang. Schließlich hob er seinen Blick und sprach. »Wie Euer Königlichen Sanftheit bekannt ist«, begann er, »ist die Zahl der Erst-Geher klein, und unsere Lehnsgüter sind weitläufig. Ich selbst bin zuständig für einen großen Teil der Sonnen-Nest-Ebene und diesen Teil des Wurzelwaldes – Erstheim, versteht sich, ausgeschlossen«, fügte er mit einem verschmitzten Lächeln gegen Taupfote hinzu. »Die Gebiete
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-wärts, nördlich vomKatzenjaul, waren früher das Hoheitsgebiet meines Vetters Buschpirscher. Sie waren es, denn er ist tot.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause. Die Königin beugte sich vor, Verwunderung in ihren strahlenden Augen.
»Wir sind natürlich betrübt zu hören, dass Buschpirscher diese Felder verlassen hat«, sagte sie nachdenklich. »Er war ein tapferer und geschickter Jäger. Doch wir begreifen immer noch nicht den
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