Traumjaeger und Goldpfote
ist?«, fragte sie und richtete ihre strahlenden Augen auf die beiden. Raschkralle, vor Nervosität fiebernd, stieß ein verzweifeltes Wimmern aus und barg seinen Kopf an Traumjägers Seite.
Fritti schluckte und sagte: »Nein, große Königin, das glauben wir nicht. Wir halten es für möglich, dass sie sich in der Gewalt des Untieres … oder der Untiere befindet, von denen Knarrer gesprochen hat. Viele andere aus der Sippe vom Mauertreff sind ebenfalls auf geheimnisvolle Weise verschwunden. Aus ebendiesem Grund haben die Älteren der Sippe eine Abordnung an diesen Hof entsandt«, schloss er hastig.
Sonnenfell gähnte herzhaft, wobei sie scharfe Zähne, weiß wie ihr Fell, und eine unvorstellbar rosige Zunge entblößte. »Haben wir eine derartige Abordnung empfangen?«, fragte sie. Schnurrmurr, der alte Hofkämmerer, dachte einen Augenblick nach.
»Ich kann nichts dergleichen sagen, Eure Samtheit«, sagte er endlich. »Ich glaube nicht, dass ich bis zu diesem Augenblick von der Mauertreff-Sippe gehört habe, und es ist so sicher wie eine tote Ratte, dass keine Abordnung von dort hier eingetroffen ist.«
»Ihr hört es also«, sagte Taupfote. »Ich fürchte, dass das Treiben in der großen, weiten Welt zuweilen an diesem kleinen Hof vorbeiläuft. Es tut mir wirklich leid, dass wir euch nicht helfen können. Es steht euch frei, so lange, wie ihr es für nötig erachtet, in Erstheim zu verweilen. Wenn ihr an diesen Dingen interessiert seid, könnt ihr möglicherweise Prinz Zaungänger eine Hilfe sein. Ihr habt eure Jagdgesänge doch wohl hinter euch, oder? Egal, es spielt keine Rolle.
Mri’fa-o
. Die Audienzen der Königin sind beendet.«
Heulsang, der, während er am Eingang des Hohlweges gewartet hatte, eingeschlafen war, geleitete sie stumm zurück durch den Wald. Fritti, voll Groll und Düsterkeit, stand der Sinn ebenfalls nicht nach Unterhaltung. Nachdem sie eine lange Strecke schweigend zurückgelegt hatten, brach Raschkralle schließlich das Schweigen.
»Denk doch nur, Traumjäger«, sagte er, »wir sind wahrhaftig dort gewesen und haben die Königin der Katzen gesehen!«
15. KAPITEL
Ich weiß nicht, was ich vorziehe,
Die Schönheit der Modulationen
Oder die angedeutete Schönheit.
Das Pfeifen der Amsel
Oder die Sekunde danach.
Wallace Stevens
D ie Tage in Erstheim flogen schnell vorbei. Außerhalb der geschützten Räume des Wurzelwaldes war der Winter angebrochen. Fritti und Raschkralle vertrieben sich die Zeit unter den großen Bäumen, sie streiften umher, jagten, ihre Körper wurden rund und ihre Felle glänzend. Dachschatten, immer noch höflich und zurückhaltend, verbrachte viel Zeit mit ihnen. Insbesondere schien es ihr Freude zu machen, Raschkralle auf seinen verschiedenen Expeditionen zu begleiten.
An einem dunklen Nachmittag, als das Kätzchen und die graue
Fela
draußen in den Irrgärten Erstheims umherwanderten, fand Fritti sich allein. Heulsang befand sich im Zuge seiner
Oelcir’va
-Zeremonien auf einer Pirsch und würde zwei Sonnenaufgänge fort sein. Die anderen Bewohner von Erstheim – es waren sehr wenige, die Fritti inzwischen kannte – eilten mit geheimen Aufträgen geschäftig hin und her oder hasteten zu heimlichen Treffen. So strolchte Traumjäger, sich selbst überlassen, unter den Bäumen dahin. Es war lange her, seit er zuletzt ohne die Begleitung einer schnatternden Stimme oder gar ohne einen Gefährten irgendwo hingegangen war. Er folgte den verschlungenenPfaden zum Südrand von Erstheim, wo die Bäume aufhörten und die Sonnen-Nest-Ebene begann, überließ es seinen Pfoten, seine Schritte zu bestimmen, und lauschte den Liedern in seinem Inneren. Er wanderte über den Waldrand hinaus und einen grasigen Abhang hinab, der mit federleichtem, frühem Schnee gesprenkelt war. Er war so eingesponnen in seine Gedanken, dass er das eisige Sprudeln der Schnurrwisper erst hörte, als er an ihrem Ufer stand.
Auf seine Hinterbacken gekauert, das Fell gegen den eisigen Wind und den wirbelnden Schnee aufgeplustert, sah er zu, wie der Fluss vorüberfloss – um im Osten,
Vez’an
, zu verschwinden, wo er sich schließlich mit der Katzenjaul vereinigte. Weiter entfernt, viel weiter noch, lag der Ort seiner Geburt und seiner Kindheit, erstreckten sich der Wald und die Felder, wo er mit Goldpfote den Sommer unter strahlendem Himmel durchtanzt hatte.
Der kalte Wind ließ ihn die Augen zusammenkneifen, als er hinaus über die Ebene starrte. Er dachte daran, nach Hause
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