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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurd Laßwitz
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Sie, daß die Kreter keine Lügner sind.“
    Hinter ihm drängte sich ein ganzer Schwärm in die Tür, sie alle nannten ihre Namen und jeder berief sich auf einen Autor, der ihn zu den Sieben Weisen zähle. Da waren noch Akusilaus, Leophantus, Pherekydes, Aristodemus, Pythagoras, Lasus, Anaxagoras, Pamphilus, Pisistratus, Linus, Orpheus und Epicharmus. Und als die Musen ihre Gäste zählten, da stellte es sich heraus, daß statt sieben nicht weniger als zweiundzwanzig gekommen waren, welche alle ihren Anspruch, zu den Weisen zu gehören, urkundlich beglaubigen konnten.
    Die Musen faßten sich kurz und machten die liebenswürdigsten Wirtinnen. Man saß freilich ein wenig eng, aber um so lebhafter war die Unterhaltung. Der alte Bote hatte sich seine Sache leicht gemacht; er war einfach bei allen alten Griechen vorgegangen, die auf ihrem Hausschilde den Titel „Sophos“ , „Weiser“, führten, und so hatte er die zweiundzwanzig zusammengebracht.
    Man kam auf die modernen Menschen zu sprechen, und Pythagoras meinte, sie seien sehr gebildete Leute. Ihren Pythagoras lernten sie schon in Tertia, und was man heutzutage auf Erden leiste, das ginge über alle Hypotenusen und sogar über beide Katheten. Er erzählte von der ungeheueren Macht der Europäer, von ihren Kriegsheeren und Flotten und wie sie den ganzen Erdenkreis erforscht hätten und beherrschten; er erzählte von ihren Maschinen und Telegraphen, von ihren Fernrohren und Mikroskopen, und von dem Scharfsinn, mit welchem sie alle Rätsel auf der Erde wie in den fernsten Himmelsräumen zu ergründen wüßten.
    Die Musen schlugen die Hände über dem Kopfe zusammen und meinten, sie wären allerdings in den letzten Jahrzehnten nicht sehr häufig zu den Menschen hinabgestiegen, auch sei die materielle Machtentwicklung, die Industrie und Wissenschaft gar nicht ihre Sache, und in der Kunst sei ihnen der Fortschritt nicht so aufgefallen. Aber Klio und Urania müßten das eigentlich wissen.
    Sie wüßten das auch, sagten diese, wenn auch nicht so genau; denn es sei jetzt sehr schwer, sich auf dem laufenden zu erhalten, und die Journale seien sehr teuer, ebenso wie die Bücher; sie könnten diese Schriften erst antiquarisch erwerben.
    „Nicht wahr“, sagte eine der Musen zu Solon, „es gibt doch jetzt viel mehr Menschen als damals zu Ihren Lebzeiten?“
    „Gewiß, mein Fräulein, viel, viel mehr.“
    „Und wenn es schon damals unter den wenigen Menschen in Hellas zweiundzwanzig Weise gegeben hat, wie viel Weise mag es erst jetzt in ganz Europa geben? Die möchte ich einmal zusammen sehen!“
    „Oder auch nur einige von ihnen kennen lernen“, rief Erato.
    „Das wäre reizend“, bestätigte der Chorus. „Aber wie finden wir sie heraus, und wie bringen wir sie zusammen?“
    „Zu unserer Zeit“, begann Thaies, „fanden meine Landsleute einmal in einem von ihnen angekauften Fischfang einen goldenen Dreifuß, den, wie man sagt, einst Helena ins Meer geworfen hat, damit er Anlaß zum Streite späterer Geschlechter gebe. Und so kam’s denn auch, daß wir mit den Bewohnern von Kos über den Besitz des Dreifußes in Streit gerieten, bis wir uns einigten, den delphischen Apoll zu fragen, wem das Kleinod gehören solle. ‚Dem Weisesten!’ antwortete das Orakel. Da brachten die Milesier mir den Dreifuß, weil sie mich für den Weisesten hielten; sie kannten wohl Solon nicht. Ich aber schickte den Dreifuß an ihn, doch Solon, der sich nicht selbst für den Weisesten hielt, gab ihn einem andern, dieser schickte ihn wieder weiter, und so kam er denn zuletzt wieder an mich. Da weihte ich ihn dem Gotte; denn Weisheit kommt nur den Göttern zu, weshalb sich auch mein Freund Pythagoras nicht einen Weisen, sondern einen Philosophen, einen Liebhaber der Weisheit nannte. Dieser Rundgang des Dreifußes aber zeigte uns, wen wir zu unserer Zeit für weise hielten. Ich schlage nun vor, ein Kleinod mit ähnlicher Bestimmung einem der modernen Menschen zu geben und abzuwarten, an wen dasselbe kommt.“
    „Das würde wenig nützen“, meinte Pythagoras, „ich kenne die jetzigen Menschen besser. Lassen wir den Dreifuß ausgraben, so werden sie die Aufschrift nicht für ernst nehmen und nicht als gültig für die Gegenwart, sondern sie werden sie ‚historisch’ auffassen und als das aufgefundene Hochzeitsgeschenk des Hephästos an Pelops oder auch als eine Stiftung des Thaies nach Delphi einem Museum widmen. Wir müssen die Sache anders anfangen und selbst die Weisen aufsuchen. Wenn

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