Traumkristalle
Gesundheit – da bei der starken Inanspruchnahme seiner – ja seiner –“
„Siehst du! Du kannst es nicht lesen.“
„Ich kann es lesen, ich will nur nicht! Ich mag das Wort nicht!“
„Was ist es denn?“
„Laß mich! Auf dem andern Blatt steht, wer er ist. ‚Ich, Karl Theodor Matthof, bin geboren zu Waldenburg als Sohn des Kaufmanns Emil Matthof und seiner Ehefrau Karoline, geborene –’ Schon wieder eine geborene! Ich hab’ es satt! Ich bin nicht geboren, ich nicht! Höre mich!
Droben im Raum, wo die Planeten schwingen, da weckt mich die Mutter, die dampfende Erde, vom Schlummer auf, so oft sie den Vater, den endlosen Äther, in ihrem tanzenden Wirbel küßt. Da ström’ ich hernieder, da steigen die Lüfte, da ball’ ich die Dünste zu wogenden Wolken, da jag’ ich den Sturm in der Sommernacht zu heißer Begierde – so wach’ ich und lebe!“
„So wach’ ich und lebe.“ So schrieb der Mensch in seinen Lebenslauf, dessen Anfang auf dem Papier stand. Dann faßte er sich an den Kopf, sah erstaunt auf die Worte, die er geschrieben hatte, schob das Blatt zur Seite und warf die Feder fort.
Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und ließ die Hände müßig herabsinken. Seine großen, klaren Augen aber richteten sich auf den milden Schein der Lampe über seinem Tische, und es war, als ob die Lampe immer weiter und weiter hinausrückte. Da glitten die Achsen seiner Augen langsam auseinander, bis sein Blick in unendlicher Ferne haftete, und die Nähe war ihm entschwunden.
Die Lampe zuckte mit einem triumphierenden Aufleuchten zu dem Zählwerk hinüber und sprach weiter:
„Ich bin nicht geboren – ich wachte nur auf und werde schlummern und wieder wachen. – Siehst du dort auf dem Bilde die weißen Spitzen über die dunklen Felsen ragen? Siehst du aus dem Gletscher den Bach entspringen? Erkennst du den geborstenen Stamm der verkrüppelten Kiefer? So sah es aus, wo ich zuerst erwachte.
Dort traf ich die Stämme im Urwald der Berge, sie krachten und stürzten, und prasselnd warf ich den eisigen Hagel ins Tal hernieder. O wilde Luft, o goldene Freiheit! Ich war das Wetter, ich war der Blitz! Von Wolke zu Wolke sprang ich im Lichtleid, von der Wolke fuhr ich hinab zum Boden im schmetternden Strahl, die Felsen spaltend, und aufwärts wieder zur dunklen Wolke strömt’ ich im Spiele der Äthergeister. Du altes, armes Uhrwerk, was weißt du von des Ätherkindes himmlischer Freiheit? Kennst du die stille, schwüle Julinacht mit dem schweren, sehnsüchtigen Blumenduft, wenn die verliebten Mondstrahlen über die Halme der Wiese gleiten? Dann schmiegt’ ich mich innig an die ruhende Luft und lockte sie schmeichelnd empor, und wie wir schwebten engumschlungen, weinten wir Tränen der Wonne. Die kleinen Nebeltröpfchen, von meinem heißen Atem gescheucht, ballten sich im Mondenglanz zur weichen Rundung der weißen Wolke.“
Der Mensch in seinem Stuhle seufzte leise. Er griff wieder nach der Feder, aber den großen Bogen und den Stoß blauer Hefte schob er unwillig beiseite. Er nahm sein kleines Buch und schrieb hinein. Und die Lampe sprach weiter:
„Im Sonnenschein hüllt’ ich mich spielend in den Schleier des Staubbachs. Da schaut’ ich Menschen im einsamen Bergtal. Seltsamen Weg bauten sie, die Felsen sprengend; über die Schlucht warfen sie die schlanke Brücke. Eiserne Schienen lagen am Boden, weit gedehnt. Da glitt es sich herrlich bergauf, talab, viel leichter und glatter, als wenn ich zuckend die Lüfte zerteilte. Dann spannten sie glänzende, rotfunkelnde Drähte über den Schienen in der Höhe. Die lockten mich mächtig, auf ihnen zu gleiten, wenn ich in brausenden Wettern über die Höhen einherfuhr. Und doch war’s, als erlahmte mir die Kraft, sobald ich ihnen nahte. Als ob ein unbekanntes Gebot mich hinderte, im freien Spiel zwischen Wasser und Wolken einherzutanzen. Mich warnte die Mutter Erde, ihre Stimme hört’ ich drohend im Donner, mit dem sie mich anrief, wenn ich in meinen Launen tobte.
,Störe nicht Menschenwerk! Störe nicht Menschenwerk!’ So klang die Warnung.
Ich verstand nicht, was sie meinte.
,Warum nicht?’ fragt’ ich zurück. ‚Was sind die Menschen?’
,Deine Herren und meine.’
Ich hört’ es mit Staunen und Schaudern. ‚Herren? Warum Herren? Bin ich nicht der strahlende Äthersohn, der über die Höhen blitzt, wie es ihm beliebt? Was will der Mensch, der im Staube stöhnt, der kurzlebige Wurm, was will er mir gebieten?’
,Und wollt’ ich dir’s
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