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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurd Laßwitz
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Wochentage einem Gott oder einer Göttin geweiht, und infolgedessen durfte an demselben nicht gearbeitet werden; das war eben das Angenehme im Olymp, daß man es gar nicht nötig hatte, sich abzuhetzen. Die Post ging also, streng genommen, gar nicht, ausnahmsweise jedoch des Mittwochs, weil dieser Tag dem Hermes geheiligt war; da ging sie manchmal zum Vergnügen. Die Musen hatten ihren Beschluß des Donnerstags gefaßt, und am Samstag sollte die Gesellschaft sein.
    Sie entschlossen sich also kurz und nahmen sich einen alten Lohndiener, welcher früher bei Hermes Briefbote gewesen war und daher die Adressen gut kannte. Dem sagten sie, er solle die Einladungen mündlich bestellen: „Die Herren Weisen Griechenlands möchten den Musen die Ehre geben, sie auf den Samstag zu einer Tasse Tee zu besuchen.“
    Der Bote trat seinen Rundgang an, und die Weisen freuten sich nicht wenig über die Einladung. Nur war auch ihnen es schwer, die Namen der neun Musen zu behalten; so hörte man sie überall vor sich hinmurmeln: Klio, Melpomene, Terpsichore, Thalia, Euterpe, Erato, Urania, Polyhymnia, Kalliope. Endlich baten sie den Simonides um einen Merkspruch, und der stellte ihnen die Anfangssilben zu folgendem reizenden Verschen zusammen:
     
    Kliometerthal,
    Euer Urpokal!
     
    Hieraus kann man das Alter dieser Regel erkennen. Nun waren die Weisen vergnügt, und des Abends im Kegelklub schoben sie bloß noch alle neune.
    Als der Gesellschaftsabend herannahte, begann es den beiden älteren Damen Klio und Urania doch leid zu werden, daß sie so kurzweg auf ihre Herren verzichtet hatten, und sie nahmen sich im stillen vor, ihre Kolleginnen auszustechen. Klio repetierte noch einmal die Solonschen Gesetze, um sich dem Verfasser gegenüber keine Blöße zu geben, und Urania, welche es auf Thaies abgesehen hatte, versicherte wiederholt, daß das Wasser der Ursprung aller Dinge und der Peripherie-Winkel im Halbkreis ein rechter sei. Infolgedessen entstand zwischen ihnen und den übrigen, welche selbstverständlich die Absicht merkten, eine leise Spannung, und bei allen ein gelindes Mißbehagen, weil jede bei sich fürchtete, gerade unter den beiden zu sein, welche notwendig sitzen bleiben mußten.
    Der erwartete Abend fand die Musen und Klios Salon im schönsten Schmucke, jede Muse hielt ihre frischgeputzten Embleme in der Hand und kam sich nur um wenig ungemütlicher vor, als bei dem Kaffee, bei welchem sie unter sich gewesen waren. Endlich öffnete sich die Tür, und eine Anzahl ehrwürdiger Männer traten ein, welche sich als die Weisen Griechenlands vorstellten. Aber wie erstaunten die Musen, als sie nicht sieben, sondern acht Herren erblickten; denn außer den oben Genannten war auch noch Myson gekommen.
    „Welcher von den Herren“, fragte Klio, „ist denn kein Weiser?“
    „Dieser da!“ antwortete Periander, der Tyrann von Korinth, indem er mit finsterer und stolzer Miene auf Myson wies.
    „Ich bitte um Verzeihung“, entgegnete dieser, „aber ich bin ganz gewiß ein Weiser, und zwar der richtige siebente, wie geschrieben steht bei Platon im Protagoras, und dieser muß es doch wissen.“
    „Er ist ein Bauer“, sagte Periander verächtlich, „der weiter nichts kann als ins Blaue starren und lachen.“
    „Das ist Weisheit genug“, erwiderte Myson, „und jedenfalls besser, als andere zu Tränen zwingen. Eure Hoheit werden gestehen müssen, daß die eigene Gemahlin mit der Fußbank totwerfen oder Bäuerinnen Feiertags ihren Goldschmuck wegnehmen, Handlungen sind, welche einem Weisen sicherlich weniger anstehen als das Lachen.“
    Periander, der sich getroffen fühlte, wollte sich unmutig entfernen, als die Tür aufs neue sich öffnete und Anarcharsis hereintrat.
    „Ich habe mich etwas verspätet“, sagte dieser, „aber ich gehöre ebenfalls zu den Sieben Weisen; mein Zeuge ist Ephorus bei Diogenes Laertius, und ich sehe nicht ein, warum er unglaubwürdiger sein sollte als Platon, Pausanias, Plutarch oder irgend ein anderer.“
    „Gewiß meine Herren“, rief Klio vermittelnd, „Sie sind uns alle herzlich willkommen; hatten wir doch kaum zu hoffen gewagt, daß es unter den Menschen neun Weise gegeben hat.“
    „So viele wie unter den Göttinnen“, sagte Solon mit einer galanten Handbewegung.
    „Verzeihen Sie“, rief da plötzlich ein neu Hinzutretender, „ich bin Epimenides, ebenfalls ein Weiser, Clemens sagt es mit Bestimmtheit; auf Dikäarchos brauchen Sie nichts zu geben. Ich stamme aus Kreta, und ich versichere

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